Leserbrief zum Artikel Aneignung linker Energien von rechts: Das Gespenst des Populismus
vom 14.01.2017:
Navi ausschalten
»Der Kapitalismus zerstört das Bekannte und Traditionelle.« Genau, und warum tut er das? Es liegt in seiner Natur, alle anderen Götter neben sich selbst zu beseitigen, alles muss weg, was der Profitmaximierung im Wege steht, und angesichts der gegenwärtigen Situation der Finanzmärkte erst recht. Das, und nur das, liegt der Sache zugrunde, die wir derzeit als angeblich alternativlosen Fortschritt bezeichnen, das ist die eigentliche Triebkraft hinter der Globalisierung, die sich gern hinter humanen und linken Idealen versteckt und diese für sich instrumentalisiert hat, eine Tatsache, die viele »Linke« nicht sehen wollen. Natürlich ist kultureller Austausch etwas Gutes, etwas, das freie Menschen in einer gerechten Gesellschaft von sich aus tun würden, um aneinander zu wachsen, schon weil sie keine Angst hätten. Was wir erleben, basiert kaum auf Freiwilligkeit, sondern gleicht eher einer Vergewaltigung, wie es schon die Kolonialisierung war. Wollten sie kommen, oder wurden sie hierher verarmt und gebombt? Ich an ihrer Stelle würde uns hassen! Komisch, wenn ich jemanden zu mir einlade, habe ich nicht vorher seine Wohnung zerstört bzw. habe dabei geholfen und bin dann so scheinheilig, völlig unreflektiert eine Willkommensshow abzuziehen. Ich würde vor Scham im Boden versinken und sofort alles tun, damit die Wohnung der Besucher wiederhergestellt wird und mich selbstverständlich gegen die imperialistische Politik der Verursacher wenden. Denn wollten diese Leute etwa alle ihre Heimat (sie nennen das meist so) verlieren? Die meisten von ihnen würden gar nicht kommen, wenn sie in ihren Ländern eine Perspektive hätten, die aber der Kapitalismus nimmt. Verlogene Basis für multikulturelle Idylle. Sie wollen ihre Kultur behalten und viele Deutsche ihre auch. Kulturaustausch erfordert gesundes Selbstbewusstsein und Wertschätzung der eigenen Kultur, auch der deutschen. Das beste Mittel gegen rechts. Der Kapitalismus entwurzelt, tötet Kultur für Kommerz wie einst die der Indianer. (...)
»Die Umwandlung von Entfremdungserfahrungen in Hass auf Fremde und Fremdes ist eine basale rechte Operation und das Geheimnis des Erfolges der sogenannten Rechtspopulisten.« Ja, das gibt es leider. Aber ist es wirklich immer der Hass auf Fremdes? Wer bestimmt die Lebensumstände der Menschen? Was ist mit Separatisten wie etwa Katalanen, die ihre Kultur erhalten wollen? Sie sagen: Jede Kultur ist eine andere Antwort auf das Leben und die Welt, und es ist wichtig, dass es diese Vielfalt gibt, denn eine einzige kann nicht alles ausdrücken. Unterschiedliche Kulturen machen Lebensalternativen sichtbar und erfahrbar. Gäbe es nur eine einzige, ob gemischt oder nicht, schiene sie alternativlos, es schiene unmöglich, etwa gegen sie aufzubegehren. Auch Kulturen brauchen ein Gegenüber, auch als Korrektiv, um sich nicht für absolut zu halten. Eine Eine-Welt-Regierung wäre eine Diktatur ohne Gegengewicht, wohl die schlimmste, die es je gab. Nach Orwell und Huxley mit allen Möglichkeiten von absoluter High-Tech-Kontrolle mitsamt Genmanipulation sowie unbegrenzten Geldmitteln versehen. Wahrscheinlich würde sie neofeudal. Und sie käme nicht zwangsläufig von rechts, da diejenigen Globaleliten, deren Projekt das ist, international orientiert sind und Linke ihren Zielen wie der Abschaffung des Nationalstaates besser nützen. Nationalstaat ist keineswegs identisch mit Nationalismus, das ist Propaganda. Er ist der einzige existierende Rechtsrahmen der Demokratie, wie der Sozialdemokrat Dahrendorf einst sagte. Und deshalb stört er die Großkonzerne, die ihn aushebeln wollen, wie man an den ganzen TTIP- und CETA-Geschichten auch sieht. Die EU ist nicht demokratisch, soll es vielleicht auch gar nicht sein. Merkel will keine Demokratie, wir hätten darauf keinen Anspruch »für immer«, wie sie sagte. Heutige »Linke« verfolgen euphorisch jede Revolution von Multikulti bis Gender – nur nicht in den Besitzverhältnissen, die einzige, die dem Kapital wehtun würde. Komisch, nicht? Nein, Taktik. (...)
Der sogenannte hochgelobte Fortschritt ist wie eine Autobahn, die stur in eine Richtung führt und eine immer schnellere Richtgeschwindigkeit vorgibt. Es gäbe ja Abfahrten hier und da, die zu anderen Autobahnen mit anderen Zielen überleiten würden, oder zu Landstraßen, auf denen man gemächlicher und kurviger vorankäme, aber Gelegenheit hätte, die Landschaft, die Orte zu sehen und zu begreifen, an denen man sonst vorbeirast. Die Raser begreifen hingegen höchstens, wie man immer schneller rast, um die kranken Bedürfnisse derjenigen zu befriedigen die daraus ihre Energie ziehen. Manche Landstraßen und Holperwege würden auch erst mal ein Stückchen zurück (Rückschritt, Rückschritt! schreit das Navi) führen und so Gelegenheit geben, etwas Wertvolles aufzulesen, was man bei der blindwütigen Fortschrittsraserei nicht sehen konnte oder verloren hat. Und manche Ausfahrten befinden sich – oh Gott sei bei uns – auf der rechten Seite und flankieren mehr oder weniger vorübergehend dubiose archaische Brachlandschaften. Jedoch einige davon machen bald darauf eine Kurve und führen dann wieder – aber langsamer! – geradeaus oder haben Abzweiger nach links unter der Autobahn hindurch. Dieser nicht unwahrscheinliche Fall ist besonders dann interessant, wenn es keine linken Abfahrten mehr gibt. Denn die Autobahn selbst schleudert die Fahrer am Ende ins Wüstenbrachland oder zum plötzlichen Crash an eine Mauer. Das eingebaute Navi sorgt dafür, und alle Abfahrten sind mit einem Totenkopf versehen und heißen »rechts« oder »querrechts«. Doch der erwachsene mündige Autofahrer schaltet das Navi aus und einen Gang runter, blickt kurz zu den Sternen, orientiert sich – und lernt selbst fahren.
»Die Umwandlung von Entfremdungserfahrungen in Hass auf Fremde und Fremdes ist eine basale rechte Operation und das Geheimnis des Erfolges der sogenannten Rechtspopulisten.« Ja, das gibt es leider. Aber ist es wirklich immer der Hass auf Fremdes? Wer bestimmt die Lebensumstände der Menschen? Was ist mit Separatisten wie etwa Katalanen, die ihre Kultur erhalten wollen? Sie sagen: Jede Kultur ist eine andere Antwort auf das Leben und die Welt, und es ist wichtig, dass es diese Vielfalt gibt, denn eine einzige kann nicht alles ausdrücken. Unterschiedliche Kulturen machen Lebensalternativen sichtbar und erfahrbar. Gäbe es nur eine einzige, ob gemischt oder nicht, schiene sie alternativlos, es schiene unmöglich, etwa gegen sie aufzubegehren. Auch Kulturen brauchen ein Gegenüber, auch als Korrektiv, um sich nicht für absolut zu halten. Eine Eine-Welt-Regierung wäre eine Diktatur ohne Gegengewicht, wohl die schlimmste, die es je gab. Nach Orwell und Huxley mit allen Möglichkeiten von absoluter High-Tech-Kontrolle mitsamt Genmanipulation sowie unbegrenzten Geldmitteln versehen. Wahrscheinlich würde sie neofeudal. Und sie käme nicht zwangsläufig von rechts, da diejenigen Globaleliten, deren Projekt das ist, international orientiert sind und Linke ihren Zielen wie der Abschaffung des Nationalstaates besser nützen. Nationalstaat ist keineswegs identisch mit Nationalismus, das ist Propaganda. Er ist der einzige existierende Rechtsrahmen der Demokratie, wie der Sozialdemokrat Dahrendorf einst sagte. Und deshalb stört er die Großkonzerne, die ihn aushebeln wollen, wie man an den ganzen TTIP- und CETA-Geschichten auch sieht. Die EU ist nicht demokratisch, soll es vielleicht auch gar nicht sein. Merkel will keine Demokratie, wir hätten darauf keinen Anspruch »für immer«, wie sie sagte. Heutige »Linke« verfolgen euphorisch jede Revolution von Multikulti bis Gender – nur nicht in den Besitzverhältnissen, die einzige, die dem Kapital wehtun würde. Komisch, nicht? Nein, Taktik. (...)
Der sogenannte hochgelobte Fortschritt ist wie eine Autobahn, die stur in eine Richtung führt und eine immer schnellere Richtgeschwindigkeit vorgibt. Es gäbe ja Abfahrten hier und da, die zu anderen Autobahnen mit anderen Zielen überleiten würden, oder zu Landstraßen, auf denen man gemächlicher und kurviger vorankäme, aber Gelegenheit hätte, die Landschaft, die Orte zu sehen und zu begreifen, an denen man sonst vorbeirast. Die Raser begreifen hingegen höchstens, wie man immer schneller rast, um die kranken Bedürfnisse derjenigen zu befriedigen die daraus ihre Energie ziehen. Manche Landstraßen und Holperwege würden auch erst mal ein Stückchen zurück (Rückschritt, Rückschritt! schreit das Navi) führen und so Gelegenheit geben, etwas Wertvolles aufzulesen, was man bei der blindwütigen Fortschrittsraserei nicht sehen konnte oder verloren hat. Und manche Ausfahrten befinden sich – oh Gott sei bei uns – auf der rechten Seite und flankieren mehr oder weniger vorübergehend dubiose archaische Brachlandschaften. Jedoch einige davon machen bald darauf eine Kurve und führen dann wieder – aber langsamer! – geradeaus oder haben Abzweiger nach links unter der Autobahn hindurch. Dieser nicht unwahrscheinliche Fall ist besonders dann interessant, wenn es keine linken Abfahrten mehr gibt. Denn die Autobahn selbst schleudert die Fahrer am Ende ins Wüstenbrachland oder zum plötzlichen Crash an eine Mauer. Das eingebaute Navi sorgt dafür, und alle Abfahrten sind mit einem Totenkopf versehen und heißen »rechts« oder »querrechts«. Doch der erwachsene mündige Autofahrer schaltet das Navi aus und einen Gang runter, blickt kurz zu den Sternen, orientiert sich – und lernt selbst fahren.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 30.01.2017.