Leserbrief zum Artikel Aneignung linker Energien von rechts: Das Gespenst des Populismus
vom 14.01.2017:
Dialektik der Tradition
Wenngleich ich dem Autor dieses Artikels als Linker inhaltlich weitgehend zuzustimmen vermag, so stößt mir ein Satz darin doch besonders schwer und sauer auf, nämlich: »Je traditioneller ein Mensch geprägt ist, je mehr man ihn in einen Charakterpanzer gezwängt hat, desto schwerer wird er sich damit tun, angesichts von Unbekanntem Freude zu empfinden.« Da ist sie wieder, diese ewige, blutarme, empathielose, kalte, abstoßende, »linke« Arroganz. Als ob Tradition notwendigerweise und ausschließlich nur aus Zwängen erwüchse; als ob ein sich seiner Wurzeln bewusster Mensch mit festem Boden unter seinen Füßen zwangsläufig an diesen gekettet und nicht der eigenmotivierten Fortbewegung fähig wäre; als ob ein Mensch, der sich seiner Kultur und Heimat zutiefst verbunden fühlt, zwingend nicht an der übrigen Welt, an anderem und Neuem interessiert und somit gänzlich entwicklungsresistent wäre. Vielleicht sollten diese vermeintlich linken Ex- cathedra-Globalisierungs-Apologeten mal anfangen, darüber nachzudenken, ob es da nicht doch eventuell einen dialektischen Zusammenhang geben könnte zwischen Tradition und Progression!
Veröffentlicht in der jungen Welt am 27.01.2017.