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05.07.2017, 17:08:44 / No G20

Menschlich gegen Polizeigewalt

Hamburger Bevölkerung und Theater solidarisieren sich mit G-20-Protesten. Staatsmacht prügelt wieder
Von Georg Hoppe, Kristian Stemmler und André Scheer, Hamburg
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Schlagstockeinsatz und Handschellen: Demonstranten wie auch Journalisten wurden am Dienstag abend Zeugen und Betroffene des ­brutalen Vorgehens der Polizei in der Hamburger Innenstadt

Am Dienstag abend gab das »Antikapitalistische Camp« das Tauziehen um Übernachtungszelte im Elbpark im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort auf. Man sei aus dem »Freiluftgefängnis Entenwerder« ausgebrochen, schrieben die Aktivistinnen und Aktivisten nach tagelangen Schikanen und Übergriffen durch die Polizei auf ihrer Homepage. Anstatt am Elbufer »am langen Arm der Justiz zu verhungern und darauf zu warten, dass die eine oder die andere Auflage doch noch gelockert wird«, wolle man sich lieber an den Versuchen beteiligen, im Hamburger Stadtgebiet Camps durchzusetzen.

Dort ist inzwischen eine ganze Reihe kleiner Widerstandszentren entstanden. So zelten seit Dienstag vormittag einige meist junge Menschen mit Duldung des Pastors auf einer Wiese vor der St.-Johannis-Kirche an der Max-Brauer-Allee in Altona. Die Nachbarn hätten das spontane Camp sehr gut aufgenommen, berichtete Hansel Sauerteig, der aus dem Wendland für die Proteste gegen den G-20-Gipfel in die Hansestadt gekommen ist, im Gespräch mit jW. Anwohner hätten sie eingeladen, ihre Toiletten zu benutzen oder die Zelte in ihren Vorgärten und Hinterhöfen aufzustellen.

Seine Türen für den Protest geöffnet hat auch das Deutsche Schauspielhaus am Hauptbahnhof. Wie der Geschäftsführer der Bühne, Peter Raddatz, dem NDR sagte, hätten am Dienstag abend gegen 21 Uhr rund 200 bis 300 Menschen vor der Tür des Theaters gestanden und um Aufnahme gebeten. Man habe es als »Akt der Menschlichkeit« angesehen, den Protestierenden die Übernachtung im Foyer zu ermöglichen. Eine Hundertschaft der Polizei habe dann zunächst die Zugänge zum Schauspielhaus blockiert, die Theaterleitung habe aber gegenüber dem Einsatzleiter ihr Hausrecht durchgesetzt.

Von seiten der Einsatzkräfte wird derweil weiter auf Eskalation gesetzt. Mehrere tausend Menschen hatten den ganzen Tag über an vielen Stellen der Stadt spontane Straßenfeste veranstaltet, um auf diese Weise gegen den herrschenden Ausnahmezustand zu protestieren. Auch im Gählerpark – offiziell: Emil-Wendt-Park – in der Altonaer Altstadt hatten sich am Abend Menschen versammelt und symbolisch fünf Zelte aufgestellt. Das reichte der Polizei für einen martialischen Einsatz. Gegen 21 Uhr stürmten Beamte in Kampfmontur den Platz und rissen die leeren Zelte ab. Mehrere Male wurde Pfefferspray gegen die friedlichen Menschen eingesetzt. Besucher des Parks, die das Geschehen beobachteten, zeigten sich empört. Sogar ein Polizist ermahnte seine Kollegen zur Mäßigung.

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Blutige Spuren: Blick in ein Polizeifahrzeug am Dienstag in Hamburg

Als Reaktion auf das Vorgehen der Beamten beschlossen die Teilnehmer, eine Spontandemonstration gegen die Repression durchzuführen und setzten sich zum sogenannten Arrivati-Park nahe der U-Bahnstation Feldstraße in Bewegung, wo die Kampagne »Recht auf Stadt« derzeit mit einer Dauerveranstaltung für eine »Urban citizenship« demonstriert, nach der jeder Mensch die Chance haben soll, in der Stadt, in der er leben möchte, wirklich anzukommen und dieselben Rechte wie alle anderen zu haben.

Die Polizei blockierte die Spontandemonstration und ging gewaltsam gegen die Protestierenden vor. An der Kreuzung Max-Brauer-Allee und Stresemannstraße wurde ein Mann durch massiven Schlagstockeinsatz der Polizei verletzt. Ein Augenzeuge berichtete gegenüber junge Welt, dass sich mehrere Beamte auf den Mann gestürzt und ihm wiederholt mit dem Schlagstock auf den Kopf geschlagen hätten. Viel Blut sei zu sehen gewesen. Dann wurde er zu einem Polizeifahrzeug gezerrt, wo ihm trotz seines Zustandes Handschellen angelegt wurden. Offenbar nur aufgrund der Anwesenheit der Presse, von Abgeordneten der Linkspartei und von Rechtsanwälten wurde ihm ein Kopfverband angelegt.

Die Polizei versuchte mehrmals, die Journalisten am Filmen und Fotografieren zu hindern. Die Rechtsanwälte wurden nicht zu dem Verletzten durchgelassen, und erst nach längerer Verhandlung durfte sich ein Mediziner um den kaum Ansprechbaren kümmern, bis endlich der Krankenwagen eintraf. Währenddessen versuchten Uniformierte, das Blut aus ihrem Einsatzfahrzeug zu entfernen.

Trotz der Provokationen der Polizei zogen die Menschen weiter durch das Schanzenviertel nach St. Pauli. Als die Demonstration gegen 22.30 Uhr am Neuen Pferdemarkt ankam, zählte sie rund 2.000 Teilnehmer. Die Polizei stand dort schon mit vier Wasserwerfern und mindestens einem Räumfahrzeug sowie mehrere Hundertschaften bereit. Über Lautsprecher forderte ein Beamter in zynischem Ton, die Kreuzung zu verlassen: »Ihre Polizei wird Ihnen dabei behilflich sein.« Kurz darauf schossen die Wasserwerfer in die Menge und trieben die Menschen von der Kreuzung herunter und durch die Seitenstraßen des Schanzenviertels, wo sie sich nach Mitternacht zerstreuten. Mindestens eine Person wurde festgenommen.

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