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05.07.2017, 02:08:09 / No G20

Nächtliche Hetzjagd im Schanzenviertel

Von Georg Hoppe
Entsetzen über das Vorgehen der Polizei
Handfesseln statt ärztlicher Hilfe
Protest gegen das Verbot von Schlafzelten
Machtlose Wut gegen den Staatsterror
Wenn Musik aus dem Radio für die Polizei zum Verbrechen wird

Weder campen noch spontane Feiern sind in Hamburg erlaubt. Am Dienstag abend und in der Nacht zum Mittwoch sind die Beamten in St. Pauli und Altona brutal gegen Menschen vorgegangen, die sich dem verordneten Ausnahmezustand mit Musik widersetzten und gegen den Ausnahmezustand protestierten.

Mehrere tausend Menschen hatten den ganzen Tag über an vielen Stellen der Stadt spontane Straßenfeste veranstaltet. Das »massenhafte Cornern« sollte ein weiterer friedlicher Protest gegen den in Hamburg herrschenden Ausnahmezustand darstellen. Auch im Gählerpark – offiziell: Emil-Wendt-Park – in der Altonaer Altstadt hatten sich am Abend Menschen versammelt, um für das Recht auf Teilnahme an Protesten gegen den G-20-Gipfel und gegen die Unterdrückung der Camps zu demonstrieren. Gegen 21 Uhr drangen Polizeieinheiten in die Menge ein und rissen etwa fünf Schlafzelte ab, die dort symbolisch aufgestellt worden waren. Mehrere Male wurde Pfefferspray gegen die friedlichen Menschen eingesetzt. Besucher des Parks, die das Geschehen beobachteten, zeigten sich empört. Sogar ein Polizist ermahnte seine Kollegen zur Mäßigung.

Als Reaktion auf das Vorgehen der Beamten beschlossen die Teilnehmer, eine Spontandemonstration gegen die Repression durchzuführen und setzten sich in Richtung Neuer Pferdemarkt zum sogenannten Arrivati-Park in Bewegung. Die Polizei versuchte, dies zu verhindern, und ging gewaltsam gegen die Demonstranten vor. An der Kreuzung Max-Brauer-Allee und Stresemannstraße wurde ein Mann durch massiven Schlagstockeinsatz der Polizei verletzt. Ein Augenzeuge berichtete gegenüber junge Welt, dass sich mehrere Beamte auf den Mann gestürzt und ihm wiederholt mit dem Schlagstock auf den Kopf geschlagen hätten. Viel Blut sei zu sehen gewesen. Dann wurde er zu einem Polizeifahrzeug gezerrt, wo ihm trotz seines Zustandes Handschellen angelegt wurden. Offenbar nur aufgrund der Anwesenheit der Presse, von Abgeordneten der Linkspartei und von Rechtsanwälten wurde ihm ein Kopfverband angelegt.

Die Polizei versuchte mehrmals, die Journalisten am Filmen und Fotografieren zu hindern. So hielten sie einen sich nähernden Kameramann an der Kapuze fest und stellten sich vor den Verletzten. Die Rechtsanwälte wurden nicht zu ihm durchgelassen. Erst nach längerer Verhandlung durfte sich ein Mediziner zu dem kaum ansprechbaren Verletzten begeben, bis endlich der Krankenwagen kam. Währenddessen versuchten Uniformierte, das Blut aus ihrem Einsatzfahrzeug zu entfernen.

Um 22.30 Uhr hatten sich am Neuen Pferdemarkt bis zu 2.000 Menschen versammelt. Die Polizei fuhr vier Wasserwerfer und mindestens ein Räumfahrzeug auf. Mehrere Hundertschaften waren vor Ort, darunter Einheiten des berüchtigten »Unterstützungskommandos« USK aus Bayern. Gegen 23 Uhr gingen die Wasserwerfer in Stellung. Über Lautsprecher forderte ein Beamter in zynischem Ton, die Kreuzung zu verlassen: »Ihre Polizei wird Ihnen dabei behilflich sein.« Kurz darauf schossen die Wasserwerfer in die Menge und trieben die Menschen von der Kreuzung herunter und durch die Seitenstraßen des Schanzenviertels, wo sie sich nach Mitternacht zerstreuten. Mindestens eine Person wurde festgenommen.

Auf Twitter verharmloste die Hamburger Polizei ihr Tun: »Im Emil-Wendt-Park in Altona wurden Zelte aufgebaut. Eine Verfügung zum Abbau der Zelte wurde durch uns erlassen. Nach mehrfacher Aufforderung wurden die Zelte in Altona nicht abgebaut. Die Verfügung wird jetzt durch uns umgesetzt.«

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