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04.11.2010, 20:54:11 / Castorproteste 2010

Operation Castorschutz

Von Claudia Wangerin
Protest gegen Castortransport 1996
So sieht ein echter »Sabotageakt« aus (Protest gegen Castortransport 1996)

Die Polizei rechnet am Wochenende im Wendland mit kühnen und trickreichen Gegnern. 17000 Beamte sollen den Atommülltransport nach Gorleben schützen


Auf ein bewegtes Wochenende mit »Sabotage- und Blockadeakten« gegen den Atommülltransport ins Zwischenlager Gorleben bereitet sich die Polizei im niedersächsischen Wendland vor. Läuft alles nach Plan, soll der Castortransport mit dem hochradioaktiven Abfall am heutigen Freitag in der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague starten und am Sonntag per Bahn im Wendland eintreffen. Das letzte Stück sollen die Behälter auf Lastwagen nach Gorleben gebracht werden. Bei den geplanten Protestaktionen werden über 30000 Atomkraftgegner erwartet – so viele wie seit 30 Jahren nicht. Rund 17000 Polizeibeamte aus fast allen Bundesländern werden ihnen gegenüberstehen.

Das Nachrichtenportal Spiegel online erwähnte am Donnerstag »interne Unterlagen«, die »zeigen, daß die Beamten zur Zurückhaltung angehalten sind«, und zitierte ausführlich aus einem Einsatzbefehl. Demzufolge rechnet die Polizei mit rund 150 »gewaltbereiten Autonomen« (das wären rund 0,5 Prozent der erwarteten Protestteilnehmer) sowie vielfältigen »Aktionstechniken« der Castorgegner. »Körperverletzungen und Sachbeschädigungen werden dabei in Kauf genommen.« Auch die Schottertaktik finde im 92seitigen Befehl des Polizeiführers Matthias Oltersdorf besondere Erwähnung: »Seit August hat sich die Idee einer großflächig angelegten Entfernung von Schottersteinen aus dem Gleisbett in der ›Störerszene‹ etabliert«, zitiert Spiegel online aus »einer ebenfalls vertraulichen Lageeinschätzung des Landeskriminalamts Berlin«.


Das »Schottern« sei vielleicht nicht legal, aber legitim, sagt Tadzio Müller, einer der Sprecher der Kampagne »Castor? Schottern!«. Ein gezielter Rechtsbruch, aber friedlich. An der deutsch-französischen Grenze wollen am Samstag Atomkraftgegner aus Südwestdeutschland den Castortransport mit einer Sitzblockade in Berg/Pfalz stoppen. Die Blockade sei als friedlicher Protest geplant, betonte am Donnerstag der Sprecher der südwestdeutschen Antiatominitiativen, Andreas Raschke, gegenüber der Nachrichtenagentur dapd. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Rheinpfalz sagte, die Polizei werde dafür sorgen, daß das Demonstrationsrecht gewährleistet bleibe, bei Straftaten aber konsequent einschreiten.

Laut Spiegel online befürchten die Einsatzkräfte, daß sich Castorgegner erneut erfolgreich als Polizisten ausgeben und auf diese Weise Straßensperren durchbrechen könnten. Mitte August war es mehreren Aktivisten im niedersächsischen Bad Nenndorf gelungen, eine Betonpyramide hinter den Linien der Polizei zu errichten. Als Requisiten genügten ihnen olivfarbene Hosen, Stiefel und schwarze Kopfbedeckungen sowie eine polizeitypische Zeitschrift, ein Ausdruck des niedersächsischen Landeswappens und ein Imitat einer Einheitskennzeichnung hinter der Windschutzscheibe. Vielleicht fehlte den echten Polizisten an dieser Stelle aber auch der Enthusiasmus – sie wären damit nicht allein: »Die Polizei ist nicht dazu da, politische Ziele blind durchzusetzen, die Bürger verhindern wollen«, kritisierte am Donnerstag der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut. Je mehr Leute friedlich demonstrierten, um so massiver gehe das Signal an die Politik, daß Beteiligungsformen der Bürger viel intensiver genutzt werden müssen, sagte Witthaut den Stuttgarter Nachrichten (Freitagausgabe).

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