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Aus: kinder, Beilage der jW vom 30.05.2009

Fette Beute

Auf der Jagd nach dem schönen Kinderbuch
Von Jana Frielinghaus
Bild 1

»Pippi Langstrumpf« ist mir bis zur Volljährigkeit vorenthalten worden. Bücher, nach denen sich Kinder wie Erwachsene alle zehn Finger leckten, waren in der DDR oft »Bückware«, d.h. die Buchhändlerin mußte sich bücken, um sie für ausgewählte Kunden unterm Ladentisch hervorzuholen. Zu diesem illustren Kreis gehörte meine Familie nicht. Aber ich hatte ein anderes Privileg: Ich hatte reichlich Westverwandtschaft, und die brachte immer mal was Schönes mit – trotz des strikten und für alle Sparten geltenden Literatureinfuhrverbots. Eine Cousine hatte bei einem Besuch mal eine Pippi-Miniausgabe als Reiselektüre bei sich. Ich hätte die gern wenigstens mal geborgt. Aber die Tussi, immerhin schon so zehn Jahre alt, war von ihrem Vater nicht zu überreden, es mir dazulassen, obwohl er ihr immer wieder versicherte, er werde ihr zu Hause sofort ein neues Exemplar kaufen.

Ich habe es überlebt, Jäpke, Schellen-Ursli, Maurus und Madleina sei Dank. Es gibt diese meine Lieblingsbücher aus Kindertagen immer noch – ziemlich aus dem Leim, verknickt, bekritzelt, Risse mit Klebefilm papiererweichend repariert. Der Text von »Jäpkes Traum« (von Lenore Gaul, Verlag Heinrich Ellermann, erstmals erschienen 1954), klingt, 30 Jahre später wiedergelesen, ziemlich wirr. Aber die Bilder sind toll: Dieser gruselige grüne Fischgeist, der den Jungen aus Lappland übers Meer ein gutes Stück in Richtung Lapislazuli mitnimmt, und dieser Wasserfall, dessen Rauschen man zu hören meint. Die frische Bergluft kann man fast riechen, wenn man mit dem Jungen zusammen endlich der Gefangenschaft in der finsteren Höhle entflieht. Es liegt ein unvergänglicher Zauber in diesen Büchern. Und es sind gerade diese bunten Geschichten ohne offensichtliche pädagogische Intention, die Kinder am meisten faszinieren. Ihren Schöpfern – manchmal wird das Ganze erst richtig gut, wenn große Illustratoren selbst zur Feder greifen – gebührt ein Ehrenplatz im Pantheon der Literaturgrößen, weil sie die Faszination fürs Lesen wecken. Kostproben aus neueren Büchern einiger dieser Künstler finden sich auf den folgenden Seiten.

Später, wenn die Kinder richtig lesen können, werden auch Bücher mit weniger Bildern interessant. Und so machte ich mich auf die Suche, als Wiglaf Droste vor einigen Jahren in dieser Zeitung »Mein Urgroßvater, die Helden und ich« von James Krüss anpries. Die Kinderbibliothek hatte nur »Mein Urgroßvater und ich«, und auch im Buchhandel war das mit den Helden nicht zu kriegen. Das ohne die Helden ist auch hübsch, denn es enthält fabelhafte sprachakrobatische Gedichte. Aber jene Geschichten, die witzig und vor allem in großartiger Sprache beschreiben, was Heldentum nicht ist, waren nicht so leicht aufzutreiben. Im Internet gab es das Buch – allerdings nur zu Liebhaberpreisen ab 75 Euro aufwärts. Vielleicht hätte ich mich irgendwann im Dienste der Aufklärung meiner Nachkommen zu dieser Investition durchgerungen, aber zum Glück eilte Krüss-Experte Droste selbst hülfreich herbei und besprach zwei CDs mit dem Text. Er hat das sehr schön gemacht, und sie sind im Vergleich zu den antiquarischen Kostbarkeiten ein echtes Schnäppchen (Kein & Aber Records, 17,95 Euro).

kinder erscheint als Beilage der Tageszeitung junge Welt im Verlag 8. Mai GmbH, Torstraße 6, 10119 Berlin. Redaktion: Jana Frielinghaus (V. i. S. d. P.), Christof Meueler; Anzeigen: Silke Schubert; Gestaltung: Michael Sommer. Die Illustrationen dieser Beilage sind den in den Marginalien besprochenen Büchern entnommen. (Seite 1: Daniel Hager, jW)

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