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Aus: Ausgabe vom 11.07.1997 / Ausland

Schweiz macht positive Erfahrung mit Heroinprojekt

Nutzen für Schwerstabhängige und Öffentlichkeit

Die ärztlich beaufsichtigte Heroinabgabe an Schwerstsüchtige in der Schweiz soll nach positiven Ergebnissen einer dreijährigen Versuchsreihe fortgesetzt werden. Nutznießer der kontrollierten Drogenabgabe seien sowohl die Abhängigen als auch die Öffentlichkeit, heißt es in dem am Donnerstag vorgelegten Schlußbericht. So sank die Zahl der straffälligen Personen und der Delikte bereits im ersten Behandlungsabschnitt um rund 60 Prozent.

Die mit der wissenschaftlichen Begleitforschung beauftragten Experten und das Schweizer Bundesamt für Gesundheitswesen (BAG) kamen zu dem Schluß, daß die heroingestützte Behandlung für die anvisierte Zielgruppe - bislang erfolglos behandelte, schwer kranke und obdachlose Heroinabhängige - sinnvoll und mit ausreichender Sicherheit umsetzbar sei. Als erheblich bezeichnen die Forscher den volkswirtschaftlichen Nutzen der Heroinabgabe durch Einsparungen bei Strafuntersuchungen und Gefängnisaufenthalten, in zweiter Linie durch die Verbesserung des Gesundheitszustandes der Patienten. Der volkswirtschaftliche Gesamtnutzen pro Patiententag wurde auf umgerechnet 115 Mark berechnet. Dem standen Gesamtkosten von rund 60 Mark gegenüber.

Etwa neun von zehn Teilnehmern blieben mindestens ein halbes Jahr im Programm, fast sieben von zehn mehr als anderthalb Jahre. Dank dieser überdurchschnittlich guten Quote ließen sich im gesundheitlichen Bereich sowie bei der Lebensführung deutliche Verbesserungen erzielen, die teilweise auch über den Behandlungsabschluß hinausreichten, hieß es in dem Bericht. Die Straffälligkeit sei stark zurückgegangen; dies und die Bekämpfung der Übertragung gefährlicher Infektionskrankheiten seien Verbesserungen auch im öffentlichen Interesse.

Was die abgegebenen Substanzen angeht, so ist dem Bericht zufolge spritzbares Heroin geeigneter als injizierbares Morphin und Methadon. Heroin sei auch wegen geringerer Nebenwirkungen besser geeignet, Heroinzigaretten dagegen wenig wirksam. Bei den Patienten in Heroinabgabeversuchen verbesserte sich der körperliche und psychische Zustand anhaltend; Süchtige mit HIV-Infektionen und anderen Infektionskrankheiten konnten behandelt werden. Der illegale Heroin- und Kokainkonsum ging rasch und deutlich zurück, der Konsum von Alkohol und Cannabis verringerte sich kaum, jener von Beruhigungsmitteln nur langsam.

Rasch besserte sich auch die Wohnsituation und die Arbeitsfähigkeit der Abhängigen. So sank die Arbeitslosigkeit von 44 Prozent auf 20 Prozent. Ein Drittel der Patienten, die bei Eintritt fürsorgeabhängig waren, brauchten keine Unterstützung mehr, andere wurden indessen wegen des Wegfalls illegaler Einkünfte fürsorgebedürftig. Schulden wurden während der Behandlungsdauer kontinuierlich und erheblich abgebaut. Drastisch reduziert hat sich das Einkommen aus illegalen und halblegalen Tätigkeiten.

AP/jW

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