Lügen entlarven
Von Susanne Knütter, Salzgitter
Militärübungen auf dem Gelände der TU München. Das Klinikum Köln-Merheim plant eine Intensivstation in einer zwölfstöckigen Tiefgarage für den Kriegsfall, Bundeswehrferienprogramm im bayrischen Kellmünz. Ganz offen wird Kriegstüchtigkeit gefordert. Ein Schulfach »Verteidigung« nach lettischem Vorbild ist Gegenstand von Überlegungen. Man redet darüber, ob für das »Vaterland« zu sterben nicht wieder einen Sinn habe. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel lässt wissen, dieser Sommer könnte der vorerst letzte in Frieden sein. Die Beispiele zeigen: Die mentale Kriegsvorbereitung ist schon in vollem Gange. Wer dem etwas entgegensetzen will, muss erstens mit ein paar Lügen aufräumen, die den Menschen tagtäglich aufgetischt werden und zweitens aus der Defensive herauskommen. Das waren zwei der Botschaften des ersten Tages der dritten Gewerkschaftskonferenz für den Frieden, die die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) zusammen mit der IG-Metall-Geschäftsstelle Salzgitter-Peine am Freitag und am Sonnabend ausgerichtet hat.
Zu den großen Lügen, die derzeit vehement wiederholt werden, gehört die: Investitionen in die Rüstung würden für Wachstum sorgen. Eine andere lautet: Eine Milliarden Euro starke Aufrüstung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Sozialstaates sei möglich. Dierk Hirschel, Chefökonom von Verdi, verneinte beides in seinem Vortrag. In der Kanonen-UND-Butter-Erzählung, die derzeit insbesondere von der SPD vertreten werde, sieht er ein Mittel, um harte Verteilungskämpfe nicht aufkommen zu lassen. Aus dem gleichen Grund würden die Militärausgaben derzeit über Schulden und nicht über kurzfristige Steuern finanziert. Die Wachstumserzählung werde insbesondere von jenen Ökonomen vorgetragen, die bislang die größten Verfechter der Schuldenbremse waren. Tatsächlich, so Hirschel, sind Militärausgaben aus ökonomischer Sicht keine Investitionen. Sie sind »totes Kapital, staatlicher Konsum, sie werfen keine Erträge ab«. Das ist der Unterschied zu einer Investition in den Straßenbau oder in eine Kita. Die werfen perspektivisch Erträge ab. In einer Kita werden Leute ausgebildet und Menschen herangezogen, die später zu Fachkräften werden können, die zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes beitragen können. Rüstungsausgaben dagegen sind unproduktive Ausgaben und sie ziehen Ressourcen aus produktiven Bereichen ab, z.B. Fachkräfte und Kapital.
Von wegen Wachstum
Ökonomisch ausgedrückt, heiß das, jeder Euro ins Militär hat einen geringeren Effekt, als jeder Euro in Infrastruktur oder Bildung. Der Multiplikator bei Rüstungsausgaben beträgt etwa 0,5 Prozent. Das heißt, ein Euro in Rüstung bedeutet 50 Cent Wachstum. Bei Infrastrukturinvestitionen beträgt der Multiplikator 1,5 und bei Bildung läge er bei drei d.h. für jeden Euro in Bildung kommen drei Euro heraus.
Ein weiteres Argument ordoliberaler Ökonomen: Investitionen ins Militär würden die Produktivität erhöhen. Internet und Iphone seien ja auch Nebenprodukte von Militärischer Forschung gewesen. Das Problem: Das Geld, das in USA seit Jahrzehnten in militärische Forschung fließt, ist ein Vielfaches der europäischen Investitionen. Eine Alternativrechnung erfolge nie, kritisiert Hirschel. Was würde passieren, wenn man das Geld in zivile Forschung gepackt hätte?
Hinzukommt die Besonderheit, dass es in der hiesigen Rüstungsindustrie im Allgemeinen und im Bereich der großen Waffensysteme im Besonderen keinen Wettbewerb gibt. Auf einen Auftrag kommen im Schnitt zwei Bewerber, erläuterte Hirschel. »Daraus folgt, dass problemlos Mondpreise aufgerufen werden können.«
Der Schuldendienst infolge von Militärausgaben wird höher ausfallen als bei Investitionen in Infrastruktur, Bildung usw,, weil Militärinvestitionen sich letztlich nicht selbst finanzieren. Theoretisch brauche ein Staat keine Schulden tilgen, so Hirschel, sondern nur die Zinsen (siehe USA und Japan). Die Union bestehe aber auf Schuldentilgung. Das bedeutet an die 100 Milliarden Euro Schulden- und Zinstilgung allein bis 2029. Aktuell beträgt der Bundeshaushalt 470 Milliarden Euro. Das heißt die Verteilungskämpfe, die es bereits gibt (siehe Pflegekasse), werden härter. Dabei wächst der Finanzierungsbedarf des Sozialstaats, was wiederum ein Resultat der prekären Arbeits- und Lebensbedingungen, der Niedrigstlöhne und der der wachsenden Altersarmut ist. Also: Der Finanzierungsbedarf der Sozialsysteme wird größer, der Finanzierungsspielraum aber kleiner.
Bedrohungslüge entlarven
Selbst wenn es gelingt, den Beschäftigten und Kollegen zu erklären, was die grenzenlose Aufrüstung allein sozialpolitisch bedeutet, kommt nicht selten der Einwand: Aber was, wenn wir wirklich angegriffen werden. Müssen wir dann nicht verteidigungsfähig sein? Hier greift die zweite Lüge: Russland greife als nächstes die baltischen Staaten, dann Deutschland an. Ingar Solty, Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik der RLS, äußerte sich in seinem Referat und der anschließenden Diskussion dazu ganz deutlich: »Es droht kein Angriff Russlands auf die NATO-Staaten. Selbst wenn Russland das wollen würde, könnte es das nicht.« Faktisch wolle Russland das auch nicht. Das könne man ablesen an den Kriegszielen in der Ukraine. Es gehe Russland nicht darum, wie das grüne Narrativ suggeriere, die Ukraine gänzlich auszulöschen, sondern eine Landverbindung zur Krim herzustellen und um einen Regime-Change in der Ukraine, um das Land bündnispolitisch nicht dem Westen bzw. der NATO zu überlassen. »Das ist, was man tatsächlich aus dem militärstrategischen Vorgehen Russlands in der Ukraine schließen kann«, so Solty.
Wenn die Bedrohungslüge ausgeräumt ist, kann man klären, welchem Ziel die Aufrüstung wirklich dient? Welche Waffen werden angeschafft? Sind es Waffen für eine konventionelle Kriegsführung zur Landesverteidigung oder dienen U-Boote, Korvetten und Fregatten, die gekauft werden, womöglich einem ganz anderen Ziel, nämlich der Präsenz im Westpazifik im Bündnis mit den USA, um letzten Endes die neue Blockkonfrontation auch militärisch zu unterfüttern? Ihre Zwecke wird man an den Waffensystemen ziemlich deutlich festmachen können, so Solty.
Jetzt schon über Taiwan-Konflikt aufklären
Wenn alles friedlich bleibt – zumindest zwischen den großen Blöcken – ist Chinas Aufstieg unaufhaltsam, erläuterte Solty. Der Militarismus sei das Mittel, um genau das zu verhindern. Das Ziel der USA dahinter: Einerseits den globalen Süden von China abzukoppeln, zweitens die Europäer von China und dem globalen Süden abzukoppeln. Der Ukraine-Krieg sei dafür ein Katalysator gewesen, ebenso der Iran-Krieg. Denn der Iran ist ein wesentliches Transitland für die neuen Seidenstraße und damit für die fortschreitende wirtschaftliche Integration von Afrika, Asien und Europa bedeutsam. In Taiwan spitze sich dieser Konflikt nun dramatisch zu. Die USA versuchen alles, um Taiwan in die Unabhängigkeit zu führen. Aber China hat bereits ganz klar gesagt, das es das nicht zulassen wird. Das heißt China wird unter Umständen in die Situation gebracht, militärisch in Taiwan einzugreifen. Wenn es dazu kommt, meint Solty, wird es heißen, ein Aggressor ist in Taiwan einmarschiert. »Das heißt wir müssen jetzt schon über die Vorgeschichte eines möglichen Konfliktes sprechen, der sich in Taiwan abspielen wird.«
Für die Frage von Krieg und Frieden ist im übrigen auch unerheblich, ob etwa das Gesellschaftssystem in China besser ist oder nicht. Wer die Blockkonfrontation verinnerliche und Angst habe, dass seine Lebensweise möglicherweise bedroht sei, »soll entspannen«, sagte Solty. »Frieden ist in unserem Interesse.« Und mit Krieg »zieht ihr Euch selber den Boden unter allem weg, das ihr in diesem System noch für einigermaßen lebenswert haltet.«
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