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Aus: Ausgabe vom 20.06.2025, Seite 15 / Feminismus
Reproduktionsrecht

Abbrüche entkriminalisiert

Von Dieter Reinisch
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»Mein Körper, meine Entscheidung«: Dieses Recht ist nun gestärkt worden (London, 17.6.2023)

Das britische Unterhaus in London hat eine Gesetzesänderung zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen eingeleitet. Die Abgeordneten stimmten mit großer Mehrheit für das Gesetzespaket. Damit wird das über 150 Jahre alte, damals noch ausschließlich von männlichen Parlamentariern beschlossene Gesetz, wonach Abbrüche in jedem Fall strafbar seien, für England und Wales novelliert.

Bislang sind in England und Wales Schwangerschaftsabbrüche bis zur 24. Woche zwar möglich und erlaubt. Dies gilt aber nur als Ausnahme, die nicht strafrechtlich verfolgt wird. Spätere Abbrüche sind nur unter besonderen Umständen möglich, etwa, wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel steht. Frauen können ihre Schwangerschaften auch zu Hause mit Medikamenten abbrechen, wenn der Beginn weniger als zehn Wochen zurückliegt. Der alte Gesetzestext erlaubt es, für Schwangerschaftsabbrüche außerhalb dieser Vorgaben lebenslange Haftstrafen zu verhängen.

Durch die Gesetzesänderung sei die Gefahr von Ermittlungen, Verhaftungen, strafrechtlicher Verfolgung oder Inhaftierung der betroffenen Frauen aus dem Weg geräumt, sagte die Labour-Abgeordnete Tonia Antoniazzi aus dem Wahlkreis Gower, die den Änderungsantrag eingebracht hatte. Die Beschlussfassung gilt als Formsache, nachdem am Dienstag mit klarer Mehrheit für die Novelle gestimmt wurde. In der Debatte im Unterhaus hob Antoniazzi eine Reihe von Fällen hervor, in denen Frauen wegen Schwangerschaftsabbrüchen verhaftet wurden: »Jeder dieser Fälle ist eine Farce, die durch unser veraltetes Gesetz ermöglicht wurde«, so die Labour-Abgeordnete in ihrer Rede am Dienstag: »Fast 99 Prozent der Abbrüche finden vor Erreichen der 20. Schwangerschaftswoche statt, und nur ein Prozent der Frauen befinden sich in einer ›verzweifelten Lage‹«, erklärte sie. Durch die Gesetzesnovelle solle diesen Frauen die Situation durch die Gefahr einer Strafverfolgung nicht weiter erschwert werden, betonte Antoniazzi.

291 der Labour-Abgeordneten unterstützten die Novelle, nur 25 stimmten dagegen und 85 enthielten sich. Bei der Abstimmung galt kein Fraktionszwang: Aus Gewissensgründen war es den Abgeordneten gestattet, entsprechend ihrer persönlichen Überzeugung abzustimmen. Die Gesetzesnovelle wurde von allen wichtigen Anbietern von Schwangerschaftsabbrüchen, 180 Unterhaus-Abgeordneten und 50 medizinischen Organisationen, darunter dem Royal College of Obstetricians and Gynaecologists, unterstützt.

Die Entkriminalisierung ist die größte Änderung des Gesetzes zu Schwangerschaftsabbrüchen in England und Wales seit fast 60 Jahren. Die 24-Wochen-Frist soll weiterhin bestehen bleiben, genauso wie die Pflicht, die Zustimmung zweier Ärzte vorzuweisen. Während Frauen, die ihre Schwangerschaft außerhalb der Vorschriften abbrechen, nicht mehr bestraft werden sollen, gilt das nicht für jene, die einen Abbruch außerhalb des geltenden Rechtsrahmens vornehmen. Das betrifft etwa medizinisches Fachpersonal oder Partner, die versuchen, eine Schwangerschaft zu beenden.

Die Labour-Abgeordnete Stella Creasey hatte einen zweiten Änderungsantrag eingebracht. Dieser ging weit über Antoniazzis Vorschlag hinaus. Creaseys Novelle forderte, alle Klauseln zu Schwangerschaftsabbrüchen aus der »Crime and Policing Bill« von 1861 zu streichen, die Abbrüche verbieten, und den Zugang zu Abbrüchen als Menschenrecht zu verankern. Ihr Änderungsantrag wurde vor der Debatte von 108 Abgeordneten öffentlich unterstützt, jedoch schlussendlich nicht zur Abstimmung zugelassen. Warum wollten die Abgeordneten diese veralteten Gesetze »in irgendeiner Form oder Gestalt« beibehalten, anstatt von bewährten Praktiken weltweit für alle unsere Wähler zu lernen, fragte Creasey in ihrer Rede.

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