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Aus: Ausgabe vom 06.05.2024, Seite 2 / Inland
Streit um Straßennamen

»FDP missachtet demokratische Strukturen«

Bremen: Petition soll beschlossene Straßenumbenennung zu Ehren von Georg Elser stoppen. Liberale dafür. Ein Gespräch mit Olaf Zimmer
Interview: Kristian Stemmler
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Der offiziellen Umbenennung in Georg-Elser-Allee dürfte faktisch nichts im Weg stehen (Bremen, 4.4.2024)

Mit einer Petition will ein Bürger in Bremen die Umbenennung der Langemarckstraße in Georg-Elser-Allee in letzter Minute noch verhindern. Was steckt dahinter?

Die Auseinandersetzung um die Langemarckstraße läuft schon recht lang. 1988 etwa war ein Denkmal für die »Gefallenen«, das an der Straße stand, umgestoßen und 1992 durch eine erklärende Tafel in ein Mahnmal umgewandelt worden. Dann gab es eine Initiative, die eine Umbenennung der Straße anstrebte. Das Vorhaben war erfolgreich: Im Dezember 2022 beschloss der Beirat Neustadt einstimmig die Umbenennung der Straße. Dagegen richtet sich die Petition.

Warum soll die Straße umbenannt werden?

Langemark – seit 1945 wird der Name ohne das »c« geschrieben – ist ein Ort im belgischen Flandern, an dem 1914 eine verlustreiche Schlacht des Ersten Weltkriegs stattfand. Vom Deutschen Reich wurde die Schlacht verklärt: Die deutsche Jugend sei mit Hurrageschrei in das feindliche Trommelfeuer gelaufen. Man sprach vom »Mythos von Langemarck«. Die Nazis haben das aufgegriffen. Die Allee in Bremen wurde 1937 in Langemarckstraße umbenannt. Sie führt direkt an der Hochschule vorbei. So sollte demonstriert werden, dass die studentische Jugend national gesinnt und kriegsbereit ist.

Georg Elser, neuer Namensgeber der Straße, war Antifaschist und kommunistischer Widerstandskämpfer.

Mit einem Sprengstoffanschlag wollte er im November 1938 Hitler und die wichtigsten NSDAP-Kader im Münchener Bürgerbräukeller töten, weil ihm schon damals klar war, dass Faschismus Krieg bedeutete. Er wurde am 9. April 1945 im KZ Dachau ermordet. Elser ist heutzutage immer so ein wenig unter dem Radar. Die Offiziere des 20. Juli werden abgefeiert von A bis Z, aber er wird eher wenig beachtet.

Ich hatte ursprünglich auch noch eine andere Idee für einen neuen Namen. Die Langemarckstraße liegt ja direkt an einer ehemaligen großen Kaserne. Unter anderem dort hatte 1918 die Räterepublik hier in Bremen ihren Anfang genommen. Die Kaserne gibt es nicht mehr, dort ist jetzt ein Park. Aber man hätte selbstverständlich darauf Bezug nehmen und die Straße nach Johann Knief benennen können. Das war einer der Helden der Bremer Räterepublik. Aber der Vorschlag hat sich nicht durchgesetzt.

Wohnt denn der Bürger, der die Petition eingereicht hat, an der Langemarckstraße?

Soweit ich weiß nicht. Er wohnt in der Neustadt, mehr weiß ich über den Mann aber auch nicht. Die Langemarckstraße ist übrigens keine Straße, wo die Reichen und Schönen wohnen oder viele Geschäfte sind. Es ist eine Ausfallstraße, dort gibt es Dönerläden, einen Fahrradladen und ähnliches. Dort leben eher einkommensschwache Mieter. Die Straßenumbenennung ist da kein großes Thema.

Sie kritisieren vor allem, dass die FDP-Fraktion in der Bürgerschaft die Petition unterstützt.

Es gibt in Bremen die kommunale Ebene mit den Beiräten. Und die haben im Prinzip lediglich das Recht, angehört zu werden, also etwa zu Baumaßnahmen oder anderen Dingen. Einer der wenigen Felder, auf denen Beiräte entscheiden dürfen, ist die Benennung von Straßen. Der Neustädter Beirat hat die Umbenennung der Langemarckstraße nach langer Abwägung einstimmig entschieden – diese Entscheidung hat die FDP zu respektieren. Was sie jetzt macht, ist eine Missachtung demokratischer Strukturen hier im Stadtstaat.

Gerade in Zeiten von Kriegen ist es absolut wichtig, ein Zeichen gegen Militarismus und gegen Nationalismus zu setzen, und da ist die FDP selbstverständlich nicht dabei. Aber es ist ja kein Geheimnis, dass die FDP genau wie die Grünen derzeit für die Beteiligung an Kriegen und Waffenlieferungen hetzt. Dass die jetzt die Gelegenheit nutzen, die Umbenennung der Straße zu diskreditieren, hat mich nicht überrascht.

Wie geht es weiter? Kann die Petition die Umbenennung noch aufhalten?

Die Deputation für Bau und Mobilität hat zugestimmt, jetzt muss nur noch der Senat grünes Licht geben. Und wenn der Beirat das einstimmig beschlossen hat, dann ist die Umbenennung nur noch Formsache. Da kann auch die Petition nicht mehr viel daran ändern. Die FDP-Fraktion wollte offenbar nur noch mal die Hand heben, um zu zeigen: »Wir sind dagegen.«

Olaf Zimmer ist Sprecher für Petitionen und Beiräte der Fraktion Die Linke in der Bremischen ­Bürgerschaft

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  • Leserbrief von Franz (6. Mai 2024 um 09:52 Uhr)
    Elser war übrigens Kommunist in der KPD. Hätte man ruhig auch erwähnen können. Eigentlich waren alle echten Widerständler nur Kommunisten.

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