4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 24.04.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Gedenken in Ravensbrück

Im Schatten der »Tragenden«

Am 79. Jahrestag der Befreiung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück wurde auch sexueller Zwangsarbeiterinnen gedacht
Von Barbara Eder
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Blick auf die »Mauer der Nationen« während der zentralen Gedenkveranstaltung im ehemaligen KZ Ravensbrück (Fürstenberg an der Havel, 14.4.2024)

»Nie wieder. Nie wieder Krieg. Nie wieder Ausbeutung. Mit dem Bestreben, eine Welt zu schaffen, die für alle ein gleichberechtigtes Miteinanderleben möglich macht.« Mit diesen Worten leitete Irmes Schwager am 14. April die Gedenkveranstaltung für die lesbischen Frauen und Mädchen ein, die bis zum Tag der Befreiung im April 1945 im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück inhaftiert worden waren. Schwager kommt aus der jüngeren Generation der »Lagergemeinschaft Ravensbrück« und fokussierte in diesem Jahr in ihrer Rede auf eine bislang stark unterrepräsentierte Opfergruppe.

Derartigen Bestrebungen geht eine längere Geschichte voraus: Im Jahr 1991 vereinigten sich in Bad Kreuznach die 1966 in Frankfurt am Main gegründete »LG Ravensbrück« und die zu DDR-Zeiten in das »Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer« integrierte »Lagerarbeitsgemeinschaft Ravensbrück« zu einer einzigen. Seit dem konstituierenden Treffen in Stuttgart 1993 heißt der Verein »Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis« (LGRF) und hat sich für Freundinnen und Unterstützerinnen aus dem Kreis der Überlebenden geöffnet.

Anlässlich des 79. Jahrestages der Befreiung der von der SS zurückgelassenen Häftlinge des KZ Ravensbrück durch die Rote Armee versammelten sich an jenem Sonntag rund dreißig Personen am »Neuen Gedenkort« der Mahn- und Gedenkstätte. Zu ihren Rücken thronte eine Statue, die seit rund einem halben Jahrhundert am Ufer des Schwedtsees steht. »Die Tragende« ist eine von mehreren Bronzefiguren aus der »Benario-Gruppe«, die den Weg zur Gedenkstätte umsäumen.

Die »Pietà von Ravensbrück« zählt zu den symbolträchtigsten unter ihnen. Sie vergegenwärtigt einen eingefrorenen Augenblick aus dem Lagerleben: Olga Benario-Prestes (1908–1942), Blockälteste des jüdischen Blocks 11, hält eine nach einem Zwangsarbeitseinsatz bewusstlos zusammengebrochene Kameradin in ihren Armen. Die in Ravensbrück inhaftierten Frauen wurden dazu gezwungen, am Seeufer Schilf zu schneiden, im Siemens-Werk Kartuschen für Granaten zu produzieren, in erzwungener Bückhaltung Steckrüben zu ziehen oder sich die Finger in den Nähereien der SS blutig zu stechen.

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Gedenkkugel für die Häftlinge des KZ Ravensbrück während des Gedenkaktes zum 79. Jahrestag der Befreiung (Fürstenberg an der Havel, 14.4.2024)

Im Industriehof des KZ existierte eine unter Strafandrohung im Schichtdienst betriebene Handweberei. Gertrud Müller (1915–2007), als Kommunistin und antifaschistische Widerstandskämpferin im Oktober 1943 nach Ravensbrück deportiert, war eine von insgesamt rund 130.000 Frauen, die vor Ort Zwangsarbeit leisten mussten. Zu weiteren überlebenden Ravensbrückerinnen zählten unter anderem die Wiener Sozialdemokratin Rosa Jochmann, die im Juli 2021 verstorbene Schriftstellerin Esther Bejarano, die slowenische Antifaschistin Rapa Šuklje sowie die in der Nacht zum 15. April 2024 verstorbene Burgenland-Kroatin Käthe Sasso.

Viele der Frauen wurden nicht nur aus politischen oder rassistischen Gründen verfolgt, es gab immer wieder kategoriale Überschneidungen. Erste Versuche, der als homosexuell Verfolgten zu gedenken, datieren auf das Jahr 1984 und gingen von einer Rostocker Frauengruppe aus. Eine Gedenktafel für homosexuelle Männer, die im nahe gelegenen Männerlager ausgebeutet wurden, befindet sich seit 2013 an der Mauer des ehemaligen KZ. Das Gedenksymbol für lesbische Frauen existiert offiziell erst seit zwei Jahren. Die Kugel aus gebranntem Ton trug anfangs eine andere Inschrift und schloss alle Frauen mit ein, die als »›asozial‹, widerständig und verrückt« stigmatisiert wurden. Dagegen setzt die überarbeitete Version die Akzente anders – sie erinnert an die »lesbischen Frauen und Mädchen«, die im KZ Ravensbrück und dem angeschlossenen »Erziehungslager« Uckermark inhaftiert, gequält und ermordet wurden.

Nahe dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück befanden sich das Siemens-Lager, das Beutelager, das sogenannte »Jugendschutzlager« Uckermark und das Männerlager – mit vielschichtigen Verbindungen zueinander. Mitte der 1990er Jahre verhinderte die Lagergemeinschaft Ravensbrück den Bau einer Umgehungsstraße im Osten der Stadt Fürstenberg, um den Gedenkort zu schützen und den gesamten Lagerkomplex sichtbar zu halten. Sexualverbrechen fanden im gesamten Areal des KZ statt; besonders betroffen waren jedoch die Insassinnen von Block 6 des Vernichtungsorts Uckermark. Nach der Gedenkveranstaltung für die lesbischen Frauen wurde ihrer erstmals gedacht.

Dörthe Granzau Andersen rief in ihrer Rede am 14. April dazu auf, die Betroffenen nicht länger zu verurteilen und machte sich dafür stark, das Leid und die fehlenden Möglichkeiten, sich der sexuellen Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern zu widersetzen, anzuerkennen. Nataly Jung-Hwa Han von der Arbeitsgruppe »Trostfrauen« des Korea-Verbandes enthüllte anschließend eine Bronzestatuette. Das Original befindet sich in Moabit und erinnert an die Zwangsprostitution durch das Japanische Kaiserreich im Zweiten Weltkrieg. En miniature zeigt das Modell in Ravensbrück dieselbe sitzende Frau neben demselben leeren Stuhl – im Eingedenken an die Opfer sexualisierter Gewalt.

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