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Aus: Ausgabe vom 12.04.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Staatsfeind Fußballfan

Fans als Datensatz

Bayern: Behörden forschen mit »EASy«-Datei Kurvengänger aus – auf Verdacht mittels »Individualprognose«
Von Oliver Rast
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München: Uniformer Trupp auf dem Weg zum Spähangriff auf die Blöcke aktiver Fußballanhänger

Es wirkt manisch: die Datensammelei von Behörden. Anhänger des Fußballsports bekommen dies besonders zu spüren, auf Schritt und Tritt. So auch in Bayern. Im Freistaat existiert eigens die Datei »EASy Gewalt und Sport«, kurz EASy GS. 2018 habe das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration (StMI) das Münchener Polizeipräsidium beauftragt, die »zentrale Datenbankanwendung« einzurichten, so der Vizepressesprecher des Ministeriums, Michael Siefener, am Dienstag gegenüber jW. Ende Januar 2020 sei die technisch beim Bayerischen Landeskriminalamt angesiedelte »Arbeitsdatei« in Betrieb gegangen. Das Polizeiaufgabengesetz (PAG) Bayerns ermögliche solcherlei Dateien. Alles rechtens also? Mitnichten, sagen Kritiker.

Zunächst: »Die EASy-Datei war geheim und ist weiterhin inoffiziell, also gesetzlich nicht geregelt«, betonte Martina Sulzberger am Mittwoch im jW-Gespräch. Denn einheitliche, transparente Regeln für eine Einspeisung fehlten, bemängelt die Rechtsanwältin, die seit knapp zehn Jahren aktive Fans vom FC Augsburg vertritt. Wer füllt die Datei mit Informationen, wer veranlasst das? Sulzberger: Örtliche »Szenekundige Beamte« (SKB) bzw. polizeiliche Einsatzleiter. Und wäre es nach den Behörden gegangen, bliebe die EASy GS wohl weiter unter Verschluss.

Aufgeflogen ist die virtuelle Akte durch zwei schriftliche Anfragen der »grünen« Landtagsabgeordneten Maximilian Deisenhofer und Katharina Schulze im Mai 2021. Bekannt wurde das: In der EASy-Datei waren zu jenem Zeitpunkt knapp 1.650 Personen gespeichert, allein mehr als 550 mit Fanbezug zum 1. FC Nürnberg. Kurios: In der bundesweiten Verbunddatei »Gewalttäter Sport« (DGS) hatten Behördenvertreter zeitgleich nur rund 500 Fans aus Bayern registriert; aller Klubs, wohlgemerkt. Eilig unterzogen Amtsträger im Freistaat ihren Files eine »Qualitätskontrolle«. Die Folge: Datensätze flogen aus der Statistik, massenweise. Aktuell sind laut StMI 676 Personen in der Datei EASy GS gespeichert (Stand 8. April 2024). Zum Vergleich: mit Stichtag 17. Juli 2023 waren es 694 Personen. Aber: FCN-Fans sind weiter überrepräsentiert, trotz »Entrümpelung«. 420 der gegenwärtig Gespeicherten gelten dem Ministerium zufolge als Glubberer, rund satte 62 Prozent. Wie das? Max Bogner von der Nürnberger Rot-Schwarzen Hilfe (RSH) kann auf jW-Nachfrage nur mutmaßen. Einige umfangreichere Ingewahrsamnahmen und Identitätsfeststellungen aus jüngerer Vergangenheit fallen ihm ein. Letztlich bleibe es »geheimnisvoll«.

Was besagt das wiederum? Die Erfassungspraxis bayerischer SKBler und Einsatzleiter dürfte anfangs eher lax gewesen sein. Allemal, da mehrere Datensätze aus Polizeipräsidien Bayerns zur EASy-Datei zusammengefasst wurden. Gespeichert wird einiges – eine Auswahl: Personen- und Verfahrensdaten, Delikt- und Ereignisdaten, Orte und Adressen, Kontodaten. Das steht in der sogenannten Errichtungsanordnung für die Errichtung von Dateien zur »Gefahrenabwehr und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten« (GAST), zu jenen die EASy GS zählt. Das treibt bisweilen merkwürdige Blüten, weiß Rieke Stein, Sprecherin der Fürther Fanhilfe. Neben persönlichen Daten würde protokolliert, welche Spiele betroffene Kleeblattfans besucht und wo sie sich im Stadion aufgehalten hätten. Wenig überraschend, wenn statt »relevanter Sachverhalte« eine »Individualprognose« für eine Speicherung reicht. Ein Verdacht, eine Einschätzung – und schon ist die Person ein Datensatz.

Nun aber, wie seriös ist die EASy GS, warum der rasante »Datenschwund«? Der StMI-Sprecher erklärt das so: »Insbesondere die Coronapandemie führte aufgrund des eingeschränkten Spielbetriebs zu Schwankungen bzw. vielen Löschungen.« Harald Lange überzeugt das nicht. Denn: Wer weshalb in den zurückliegenden Jahren gespeichert worden ist, bleibt unnachvollziehbar, sagte der Fanforscher von der Uni Würzburg am Donnerstag jW. Ferner, warum Datensätze von mehr als 1.000 Personen gelöscht wurden. Das sieht Fananwalt René Lau ähnlich. Diese Datenpraxis zeige einmal mehr, »wie Polizeiarbeit funktioniert«. Informationen würden zuerst informell gesammelt, die nur dank parlamentarischer Initiativen »und des Drucks von Fans bekannt wurden«. Im wesentlichen beruhe der EASy-Dateninhalt auf subjektiven Wahrnehmungen von Polizisten. Lau: »Einer missbräuchlichen Nutzung ist damit Tür und Tor geöffnet.«

Was meinen Fachpolitiker? Für Holger Dremel, innenpolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion, steht die EASy GS auf jW-Nachfrage nicht zur Disposition. Schließlich diene sie zur Unterstützung polizeilicher Aufgaben in Bayern. Christiane Feichtmeier (SPD) widerspricht. Eine bayerische Datei neben der bundesweiten DGS sei weder notwendig noch berechtigt, betonte die Fraktionssprecherin für Innenpolitik und Polizeihauptkommissarin a. D. gegenüber dieser Zeitung.

Fest steht: SKBler und Einsatzleiter bleiben obsessive Sammler und Jäger. Und: Fans wehren sich gegen die innerstaatliche Feinderklärung, teils sogar mit Erfolg.

Hintergrund Anti-Fan-Files

Wer soll da noch durchblicken? Polizeien in Bund und Ländern führen zahlreiche Anti-Fan-Dateien. Ein Datensalat. In elf von 16 Bundesländern gibt es etwa elektronische Dokumente von »Szenekundigen Beamten (SKB)«; Polizisten, die speziell Informationen von Anhängern aus den Kurven sammeln, berichtete das Onlineportal Netzpolitik.org kürzlich. Oft maßlos, undurchsichtig, überflüssig, sagen Vertreter von Fanhilfen und Fachanwälte.

Die bekannteste ist die Datei »Gewalttäter Sport« (DGS). Sie wird seit 1994 geführt. Mitglieder der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren hatten deren Einführung beschlossen, um als gewaltbereit eingestufte Fußballanhänger zentral zu registrieren. Verwaltet wird sie von der »Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze« (ZIS), die beim Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste der Polizei Nordrhein-Westfalen (LZPD) in Duisburg angesiedelt ist. Die ZIS gibt es seit 1992. Das Bundeskriminalamt (BKA) betreibt die DGS als sogenannte Verbunddatei – eine informationstechnische Dienstleistung für die Bundesländer. Das Datenmaterial liefern SKBler.

Nur, warum braucht es neben der bundesweiten Datei regionale? Beispielsweise die bajuwarische Spezialdatei »EASy Gewalt und Sport« (EASy GS)? DGS und EASy GS hätten »verschiedene Zweckbestimmungen«, heißt es auf jW-Nachfrage seitens des Staatsministeriums des Innern aus Bayern. Das bedeutet? Mit der DGS gewänne »die Polizei Anhaltspunkte für mögliche Eingriffsmaßnahmen und Erkenntnisse für taktisch-operative Maßnahmen im Zusammenhang mit gewaltbereiten Personen bei Sportveranstaltungen«. Sie sei ferner im Informationssystem der Polizei »Inpol« angesiedelt, so dass gespeicherte Informationen grundsätzlich allen Polizeibeamten zur Verfügung stünden, »sofern der Zugang zu den Daten nach den Bestimmungen des Polizeiaufgabengesetzes eröffnet ist«.

Die EASy GS hingegen diene dazu, »personenbezogene Erkenntnisse über Zusammenhänge und Verbindungen zwischen den Angehörigen gewaltbereiter Szenen im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen zu gewinnen«. Entsprechend habe dem Staatsministerium zufolge »nur ein sehr eingeschränkter Personenkreis Zugriff auf diese Speicherungen«. Überprüfen lässt sich das von unabhängiger Stelle nicht, monieren Bayerns Fanhilfen.

Interessant: Die Datei war 2003 ursprünglich eingerichtet worden für »ermittlungsintensive Verfahren« (Terrorismusbekämpfung, organisierte Kriminalität), so Rieke Stein von der Fürther Fanhilfe gegenüber jW. Erst 2020 sei der »Phänomenbereich Fangewalt« hinzugekommen. Fans stünden damit unter Generalverdacht. Ein Unding – Stein: »EASy GS abschaffen – sofort und ersatzlos«. (or)

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