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Aus: Ausgabe vom 06.03.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Kapitalfraktionen gegen AfD

Schlecht fürs IT-Geschäft

Branchenverband Bitkom stellt sich gegen AfD-Positionen zu Zuwanderung und Bildungspolitik. Industrie befürchtet Profiteinbußen
Von Kristian Stemmler
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Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) besucht indische IT-Fachkräfte (Thiruvananthapuram, 19.7.2023)

Vor dem Hintergrund der seit Monaten bundesweit stattfindenden Großdemonstrationen gegen die AfD bringt sich eine weitere Kapitallobby in Stellung. Bitkom, der Interessenverband der IT-Wirtschaft, hat sich in einem aktuellen Positionspapier gegen die rechte Partei positioniert – weniger aus antifaschistischer Überzeugung, sondern weil man sich an gegen Zuwanderung gerichteten Positionen der AfD stört. Diese könnten Profite gefährden, da auch die hiesige IT-Branche auf ausländische Fachkräfte angewiesen ist.

Sollten die Forderungen der AfD umgesetzt werden, würde dies der Digitalwirtschaft schaden und deren Wettbewerbsfähigkeit gefährden, heißt es in dem Papier. Bitkom verweist darauf, dass schon 2023 in der BRD rund 149.000 IT-Spezialisten gefehlt hätten. Ohne Zuwanderung sei die Lücke nicht zu schließen und der IT-Fachkräftemangel würde sich »massiv verschärfen«. In Deutschlands IT- und Telekommunikationsunternehmen arbeiteten fast 1, Millionen Menschen aus allen Regionen und Ländern, listet der Verband auf. Rund 180.000 von ihnen hätten keine deutsche Staatsbürgerschaft, 70 Prozent davon kämen aus Ländern außerhalb der EU. »Sie sind unverzichtbar für das digitale Deutschland. Vielfalt macht uns stark«, zitierte die Nachrichtenagentur dpa am Sonnabend Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst.

Wenn die digitale Wirtschaft mit den führenden Innovationsstandorten wie den USA und China Schritt halten wolle, müssten die besten IT-Fachleute der Welt nach Deutschland geholt werden. »Diese Menschen können sich aussuchen, wo sie arbeiten – wir bewerben uns bei ihnen, nicht umgekehrt.« Deutschland müsse deshalb nicht nur als Wirtschaftsstandort, sondern auch als Lebensmittelpunkt hochattraktiv sein. Mit Blick auf die AfD erklärte der Verbandschef, wer diese Menschen abschrecke, schade der digitalen Wirtschaft enorm.

Große Sorge bereite Bitkom auch »die Leugnung des menschengemachten Klimawandels« durch die AfD, heißt es in dem Positionspapier weiter. Und auch die Positionen der Partei beim Thema Bildung schadeten der Wirtschaft: In ihrem EU-Wahlprogramm wende sich die AfD explizit gegen Bestrebungen, den Unterricht generell zu digitalisieren. Bitkom und seine Unternehmen stünden dagegen für ein zeitgemäßes Bildungssystem, zu dem digitale Lehr- und Lernmethoden selbstverständlich dazugehören – ein nicht ganz uneigennütziger Einwand des Verbandes, lässt sich mit der Ausstattung von Schulen doch gut verdienen.

Auch in anderen Branchen engagieren sich Firmen gegen die AfD, zum Beispiel der Uhrenhersteller Nomos in der sächsischen Kleinstadt Glashütte im Erzgebirge. Wie der Tagesspiegel am Montag berichtete, besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Manufaktur mit 200 Beschäftigten vergangene Woche, um den Betrieb im Engagement gegen rechts zu stärken. Nomos-Geschäftsführerin Judith Borowski positionierte sich demnach 2018 als eine der ersten in der Wirtschaft klar gegen die AfD. Unternehmen sollten sich nicht in Parteipolitik einmischen, erklärte sie gegenüber dem Blatt, aber die AfD in Sachsen sei eine Gefahr für die Demokratie, da müsse man aktiv werden.

Über einzelne mittelgroße Betriebe hinaus haben sich auch Zusammenschlüsse von Großkonzernen gebildet, die damit ihren »demokratischen Charakter« betonen wollen. Zu nennen ist da etwa der »Business Council for Democracy« (BC4D). An der Initiative der Hertie-Stiftung beteiligen sich 125 Firmen – neben Nomos auch Dax-Konzerne wie Volkswagen und SAP. In Sachsen sind die Stadtwerke Leipzig, der Chiphersteller Global Foundries und das Pharmaunternehmen GSK (Glaxo-Smith-Kline) in Dresden dabei.

Das BC4D bietet kostenlose Schulungen für Beschäftigte an, bei denen sie mehr über die Ausbreitung von »Hassrede, Desinformation und Verschwörungsnarrativen« erfahren können. Auf Schulungen setzt auch der Verein »Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen«, an dem die Industrie- und Handelskammern von Chemnitz, Dresden und Leipzig beteiligt sind. Auch hier bezieht sich die Weltoffenheit unausgesprochen nur auf die »nützlichen« Geflüchteten – also all diejenigen, die von Unternehmen ausgebeutet werden sollen.

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