Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 09.04.2016, Seite 10 / Feuilleton

Frei.Wilds »Echo«

Die deutsche Musikindustrie hat ihre Branchenpreise verliehen. Am Donnerstag abend wurden in Berlin die »Echos« überreicht. Darüber entscheiden keine Jurys, sondern die Verkaufszahlen. Nach allem, was man hört, ist die hiesige Musikindustrie wieder im Wachsen begriffen. Noch immer wird in Deutschland das Hauptgeschäft mit physischen Tonträgern (CDs, DVDs, LPs) gemacht, ihr Anteil am Gesamtumsatz beträgt fast zwei Drittel, der Rest sind Downloads und Streams.

Die meisten Tonträger kaufen die Anhänger von Metal- oder von Volksmusik. Es ist also kein Wunder, dass Frei.Wild, die als rechte Band aus Südtirol diese beiden Genres in gedämpfter Form kombiniert, sehr erfolgreich ist und dafür in Berlin einen »Echo« bekam.

Schon bemerkenswerter ist die Kategorie, in der das geschah: »Rock/Alternative«. Frei.Wild sind also das, was unterm Strich von der sogenannten Indiekultur, die Ende der 70er in der Punkbewegung begonnen hatte, übriggeblieben ist. Formal gesehen ist das korrekt: Mit ihrem 2009 gegründeten Label »Rookies & Kings« sind Frei.Wild eine Indieband.

Noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass Frei.Wild überhaupt zur »Echo«-Verleihung eingeladen wurden. Noch 2013 waren sie wieder von der Nominierungsliste gestrichen worden, nachdem Bands wie die Ärzte oder Kraftklub im Vorfeld gegen ihre Anwesenheit protestiert hatten. Heutzutage, in den Zeiten von Pegida und AfD, ist Frei.Wild ganz klar im Mainstream »angekommen«, um mal eine Lieblingsvokabel systemimmanenter Dünnbrettbohrer zu benutzen. Ein dreifaches Hossa, Hurra und Halleluja!

Wie ihre marktstrategischen Vorbilder aus Südhessen, die Böhsen Onkelz, haben sich Frei.Wild selbstverständlich von allzu offensichtlicher rechter Politik losgesagt, um ebenso als sentimentale Rebellen gegen die Moderne (oder auch nur gegen die nächste Laterne) an imaginären Lagerfeuern zu trällern. Vergangenes Jahr ließen sie sich von ihrem Biographen Klaus Farin als »Südtirols konservative Antifaschisten« (Buchtitel) propagieren.

Die frühere Skinhead-Band Onkelz war schon Anfang der 90er von solchen Spezialisten wie Alice Schwarzer und Daniel Cohn-Bendit von allen Rechtsrockvorwürfen freigesprochen worden. Dieses Jahr konkurrierten sie übrigens mit der Schlagersängerin Helene Fischer um den »Echo« in gleich zwei Kategorien: »Musik-DVD/BluRay« und »Crossover«. Fischer gewann beide »Echos«. Natürlich war »Crossover« nicht politisch gemeint, sie hatte – völlig unerwarteterweise – Weihnachtslieder eingesungen, die Onkelz hatten ihre alten Lieder mit einem Symphonieorchester aus Bratislava eingespielt. Sie klingen dann epischer. (jW)

Mehr aus: Feuilleton