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Aus: Ausgabe vom 08.11.2008, Seite 3 / Schwerpunkt

Solidarität mit Israel – nicht in unserem Namen

Aus der Stellungnahme der Gruppe »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« (Österreich) zu Antisemistismus, Antizionismus und Israel-Solidarität:

Die »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« ist die in Österreich wirkende Sektion eines Netzwerks »European Jews for Just Peace«, bestehend aus elf Organisationen in zehn westeuropäischen Ländern. Dieses Netzwerk ist ein Beweis dafür, daß keineswegs alle Menschen jüdischer Herkunft den Staat Israel in seiner jetzigen Form und seine Politik unterstützen, wie es die offiziellen jüdischen Gemeinden und die meisten jüdischen Organisationen Europas bedingungslos und lautstark tun, ohne Einfluß auf diese Politik ausüben zu können. Diese sind daher für die Politik des Staates Israel mitverantwortlich. Weder sie noch Israels Regierung, die vorgibt, daß alle Juden der Welt eine Nation bilden, mit Israel als deren Nationalstaat, und die sich daher anmaßt, alle Juden der Welt zu vertreten, haben das Recht im Namen aller Jüdinnen und Juden zu sprechen. Da wir als Menschen jüdischer Herkunft (...) in die Verantwortung dafür genommen werden, halten wir entgegen: Nicht in unserem Namen!

In dieser Erklärung geben wir unsere Einstellung bekannt: 1. zum politischen Zionismus, und 2. zum Staat Israel und seiner Besatzungs- und Siedlungspolitik.

1. (...) Juden leben in fast allen Teilen der Welt, sprechen verschiedene Sprachen und gehören den Nationen, deren Bürger sie sind, an. Gemeinsam ist ihnen nur die Religion, falls sie sie noch ausüben. Das Judentum ist seinem Wesen nach eine Religion und eine Kultur, kann daher nicht mit dem Zionismus, einer politischen Bewegung, gleichgesetzt werden. (...) Wir lehnen den Zionismus rückblickend in seiner Ideologie und Praxis entschieden ab. Er hat mit Hilfe der Kolonialmächte und der Vereinten Nationen gegen den Willen der ursprünglichen Einwohner Palästinas mitten in der arabischen Welt einen Staat geschaffen, – eine europäisch-amerikanische Enklave – in der er weiterhin ein Fremdkörper ist. Mit dem Ziel, ein Land im Nahen Osten durch auswärtige Siedler zu kolonisieren, die vorgaben einen historischen oder religiösen Anspruch auf dieses Land zu haben, ein Land, das seit vielen Jahrhunderten von einem anderen Volk bewohnt war, dieses zu verdrängen und auf ihrem Territorium einen Staat zu errichten, war ein endloser Konflikt vorprogrammiert. Würden die nordafrikanischen Völker Anspruch auf Andalusien erheben, wo ihre Vorfahren fast neun Jahrhunderte lebten (711–1492) und eine bedeutende Zivilisation schufen, was wäre wohl die Reaktion Spaniens und der Vereinten Nationen? Der Zionismus wollte die Antwort auf den Antisemitismus sein. Das ist ihm aber nicht gelungen. Der Zionismus gibt vor, daß die Juden in der Welt im »Exil« leben. Wir leben weder im »Exil« noch in einer »Diaspora«, da der Staat Israel für uns keinen Bezugspunkt darstellt. Wir leben als Bürger von Staaten, deren Sprache wir sprechen und deren Geschichte und Kultur wir teilen.

2. (...) Wir identifizieren uns (...) in keiner Weise mit d i e s e m Staat Israel und seiner Politik, im Gegensatz zu jenen Juden des »mainstreams« für die Identifikation mit Israel ein wesentlicher Teil ihrer eigenen Identität ist. Für uns zählt das internationale Recht, die Menschenwürde und nicht etwaige Ursprungsmythen, erfundene Traditionen und gefälschte Geschichtsschreibung. Israel bezeichnet sich als Staat »aller Juden«, ein Konzept, das wir ablehnen. Es wirbt ferner um die Anerkennung als »jüdischer Staat« und weist das Konzept, statt dessen ein Staat aller seiner Bürger zu sein, zurück. Ein Staat, der auf dem Prinzip »ein Volk, eine Religion, ein Land« beruht, ist in der heutigen pluralistischen Welt ein Anachronismus, wie es bereits der Zionismus war.

Eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts ist derzeit nicht in Sicht. Die Verhandlungsbasis der Palästinenser ist die arabische Friedensinitiative von 2002, von der Arabischen Liga 2007 wiederholt, aber von Israel mißachtet. Die Initiative beruht auf der Forderung nach Israels Rückzug auf die Grenzen von 1967, der Teilung Jerusalems und einer gerechten Lösung des Flüchtlingsproblems. Israel hat diese Bedingungen ausgeschlagen, obwohl die arabischen Staaten im Gegenzug volle Anerkennung des Staates Israel und Normalisierung der Beziehungen angeboten hatten. Es ist diese Lösung, die wir unter den gegenwärtigen Umständen als die gerechteste empfinden.

Der im internationalen Diskurs vielgepriesenen »Zwei-Staaten-Lösung« spricht Israel Hohn, indem es in den palästinensischen Gebieten Landenteignung, Siedlungs-, Mauer- und Straßenbau täglich weitertreibt, Gaza blockiert und die Teilung Jerusalems aus den Verhandlungen ausschließt. Israel besteht auf die von ihm über die Jahre geschaffenen völkerrechtswidrigen »facts on the ground« – »betonierte Tatsachen«, die für die Palästinenser unannehmbar sind. Eine »Ein-Staat-Lösung«, d.h. ein Einheitsstaat, in dem beide Völker gleichberechtigt leben, scheint derzeit unwahrscheinlich, obwohl sie nach endgültigem Scheitern der Verhandlungen im Raum stehen könnte.

(...) Inzwischen unterstützen wir das Recht des palästinensischen Volkes auf Widerstand und erklären uns mit ihm in seinem Befreiungskampf solidarisch. Wir unterstützen gleichfalls das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr in ihre angestammte Heimat.

Vollständiger Wortlaut im Internet: nahostfriede.at juedische-stimme.de

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