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Leserbrief zum Artikel 20 Jahre Krieg vom 26.03.2021:

Nur »tote Russen«

Ein weiterer, vielleicht schon längst in Vergessenheit geratener »Höhepunkt« des mittels Sturmgewehr seit 2001 andauernden »Brunnenbohrens«, des »Schulebauens« und des »Demokratisierungsprozesses« in dem geschundenen Land am Hindukusch war das Posieren von Bundeswehr-Soldaten im Jahre 2003 mit ausgegrabenen Totenköpfen, die aus einem Massengrab rausgewühlt worden waren. Nach Darstellung des damaligen Verteidigungsministers Franz Joseph Jung (CDU) waren es lediglich – man höre und staune – nur zwei Tatverdächtige, gegen die ermittelt wurde, will heißen: die berühmten »Einzelfälle«. Dass dem ganz und gar nicht so war, bestätigte ein Zeuge, dessen Aussagen in der Zeitschrift Spiegel am 27. Oktober 2006 unter der Überschrift »Bundeswehr trennt sich von zwei Totenschändern« erschien. Dort ist die Rede davon, dass es zumindest »in den niedrigen Dienstgraden die Runde gemacht«, zur »allgemeinen Belustigung« geführt habe, und wer nicht mitmachte, sei als »Weichei« diskreditiert worden. Wie widerwärtig, primitiv und menschenverachtend das Verhalten der »Soldaten« war, zeigt folgendes Zitat aus dem bereits erwähnten Artikel im Spiegel: »Der Mann beschrieb auch, wie die Fotos entstanden seien. ›Es wurde dieser eine Schädel genommen. Zuerst hat man ihn hochgehalten und ein Foto gemacht. Dann wurde er aufs Fahrzeug montiert – bis zu dem Punkt, wo der eine sein Glied rausgeholt hat.‹« Damit nicht genug. Diese Totenschädel wurden auf die Fahrzeuge aufgepflanzt und so in perverser Weise öffentlich zur Schau gestellt. Als das dann öffentlich wurde, erinnerte mich das sofort an die abscheulichen Verbrechen des ehemaligen Wehrmachtsangehörigen Siegfried Müller, genannt Kongo-Müller, und dessen Verbrechen im Kongo der 1960er Jahre, die denen der Waffen-SS in nichts nachstanden. Zwar gab es zu den Vorkommnissen in Afghanistan eine Untersuchung, in deren Ergebnis jedoch festgestellt wurde, dass den Bundeswehr-Soldaten – ähnlich dem Befehl des Obersten Klein – keine Straftat nachzuweisen sei. Man habe keine Totenruhe gestört. Die Totenschädel, so hieß es lapidar in einer großen deutschen Tageszeitung, seien wahrscheinlich nur toten Russen (!) zuzuordnen gewesen. Manch eine natürliche oder juristische Person merkt gar nicht, wie sie sich mit ihren doppelten Standards und Menschenverachtung selbst diskreditiert.
Gerhard R. Hoffmann
Veröffentlicht in der jungen Welt am 26.03.2021.