Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben

Leserbriefe

Liebe Leserin, lieber Leser!

Bitte beachten Sie, dass Leserbriefe keine redaktionelle Meinungsäußerung darstellen. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zur Veröffentlichung auszuwählen und zu kürzen. Leserbriefe sollten eine Länge von 2000 Zeichen (etwa 390 Wörter) nicht überschreiten. Kürzere Briefe haben größere Chancen, veröffentlicht zu werden. Bitte achten Sie auch darauf, dass sich Leserbriefe mit konkreten Inhalten der Zeitung auseinandersetzen sollten. Ein Hinweis auf den Anlass Ihres Briefes sollte am Anfang vermerkt sein (Schlagzeile und Erscheinungsdatum des betreffenden Artikels bzw. Interviews). Online finden Sie unter jedem Artikel einen Link »Leserbrief schreiben«.

Leserbrief zum Artikel Porträt: Brieffreund des Tages: Friedrich Merz vom 20.01.2021:

Kein normaler Vorgang

Am 16. Januar 2021 verlor der Bundesbürger und Jurist Friedrich Merz das Rennen um den Vorsitz der reaktionären CDU und brachte sich nach der Niederlage als akuten Wirtschaftsminister ins Gespräch. Uns liegt damit die sofortige Übernahme eines Ministeriums als Trostpreis für eine Schlappe bei der Vorsitzwahl einer politischen Partei vor. Nun leben wir aber nicht mehr im Zeitalter Richelieus, der als Ministerpräsident unter Ludwig XIII. Minister nach Belieben ein- und absetzten konnte. Der Jurist Merz hat übersehen, dass sich zwischen dem 4. Dezember 1642, dem Todestag Richelieus, und dem 16. Januar 2021 Rousseau mit seinem »Gesellschaftsvertrag« geschoben hat, der 1762 erschien.
Dargelegt wird in ihm, dass das Volk der Urheber der Regierung ist, diese also vom Volk gewählt werden muss und nur durch vom Volk erlassene Gesetze regieren darf. Die Demokratie hört nach Rousseau auf, wenn die Regierung sich nicht mehr als Dienerin des Volkes begreift und ihren Sonderwillen gegen den allgemeinen Willen richtet. Das klingt theoretisch sehr schön.
Um die ganze Dreistigkeit und auch Albernheit von Merz aufzuzeigen, habe ich einen fiktiven Brief an den Bundespräsidenten verfasst, der ja ebenfalls Jurist ist:
»Sehr geehrter Herr Bundespräsident
Analog der Vorgehensweise des Bürgers Friedrich Merz vom 16. Januar 2021 gegen das Wirtschaftsministerium der Bundesrepublik Deutschland ersuche ich Sie, die derzeitige Kriegsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, kurz AKK genannt, ihres Postens zu entheben und mich statt ihrer als Kriegsminister zu inaugurieren, da ich wie Friedrich Merz ebenfalls ein Bundesbürger bin und mein Fußballverein Hannover 96 ein Spiel verloren hat. Mit freundlichen Grüßen ...«
Am 18. Januar 2021 wurde in der Fernsehsendung »Hart aber fair« der von Merz angegriffene Wirtschaftsminister nach dem Verhalten von Merz ihm gegenüber gefragt. Altmaier, ebenfalls Jurist, druckste rum und gab zum Besten, dass das »ein ganz normaler demokratischer Prozess« sei. Hart, aber fair wäre es gewesen, diesem Demokratieverächter sofort das Wort zu entziehen. Der ganze Vorgang bestätigt die Aussage von August Bebel, dass Juristen reaktionäre Leute seien. Ein Aufschrei in den etablierten bürgerlichen Parteien unterblieb, was anzeigt, wie volksfern diese sind. Auch der mit einer Verwaltungsjuristin verheiratete Dr. jur. Steinmaier schwieg.
Heinz Ahlreip
Veröffentlicht in der jungen Welt am 22.01.2021.