Leserbrief zum Artikel Hacks und der Marxismus: »Zur Strecke gebracht? Der Kommunismus? Nein, wieso?«
vom 23.11.2020:
Die Söhne des großen Bären
Drei Bärchen streiten sich um die Beschaffenheit eines Honigs, den sie nicht haben und nie hatten. Auslöser des Streits ist die Behauptung eines der drei, dass ihr inzwischen verstorbener Papabär in Wahrheit Rübensirup dem Honig längst vorgezogen habe. Diese kühne Behauptung war so ganz undenkbar nicht. Denn auch Papabär hatte wie die drei Streithähne Honig nie zu Gesicht bekommen. Illusionsfrei, wie er war, rechnete Papabär auch nicht damit, dass sich das zu seinen Lebzeiten noch ändern werde. Er sollte recht behalten. Könnte er darum auch tatsächlich den Sirup in der Hand süßer als den Honig auf dem Dach empfunden haben? Oder noch schlimmer: Hatte Papabär womöglich den immer unerreichbarer werdenden Honig inzwischen längst mit dem Sankt Nimmerleinstag verbunden? In ihrem Streit forsteten die drei Bärchen wild im großen Nachlass von Papabär herum. Und jeder fand darin, was er für seine eigene Argumentation suchte. Papabär war eben viel zu schlau gewesen, sich in diesem heiklen Punkt festzulegen. Wer hätte auch je die Zukunft antizipiert? Honiggenies aller Generationen waren immer nur damit aufgefallen, durch originelle Beschreibung des aktuellen Honigmangels ihre Zeitgenossen zu verblüffen. Papabär war eben auch nur ein Honiggenie gewesen. Zu allem Überfluss war nun auch der Rübensirup ausgegangen. Der Streit der drei Bärchen um den sehr süßen Traum vom Honig wurde um die süße Erinnerung an den Rübensirup nicht versöhnlicher. Denn jetzt war alles Traum. Darum sollte der wenigstens der süßeste sein. Die Bienen übrigens haben vom Gezänk der drei Bärchen nichts mitbekommen.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 24.11.2020.