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Leserbrief zum Artikel Kommentar: Deutsche Fernost-Front vom 24.10.2020:

Schlechter Vergleich

Mit Erstaunen las ich den Kommentar des Autors Sebastian Carlens zur Causa Taiwan; so sehr erstaunt, dass ich mich zu meinem ersten Leserbrief überhaupt bewogen fühle. Dabei vorweg: Ich möchte gar nicht in Frage stellen, dass die deutsche Presse tendenziös berichtet. Wir kennen das bereits von anderen Fragen her gut genug, und auch die imperialistischen Ambitionen der BRD in Asien sind bekannt – für mich dank jW-Berichterstattung. Doch China stellt einen offenen Streitpunkt der kommunistischen Bewegung dar. Und in diesen Streit reiht sich obengenannter Artikel ein. Ich möchte in dieser Frage meine Ansichten darlegen. Die Taiwan-Frage ist mit keinem anderen geopolitischen Konflikt auf der Welt vergleichbar. Es gibt kein anderes international de jure nicht anerkanntes Land mit solch einer wirtschaftlichen Stärke wie Taiwan. Deshalb ist das Vergleichen mit anderen Fällen schwer, wie der Vergleich zu Bayern, den Carlens im zweiten Absatz anführt. Der Vergleich hinkt gewaltig. Fragen wir uns: Hat Bayern ein komplett von der BRD unabhängiges politisches System, wie es Taiwan von China hat? Nein. Taiwan wählt ein eigenes Parlament und hat eine eigene Staatsführung. Hat Bayern eine eigene Währung und einen eigenen, unabhängigen Markt? Nein. Hat Bayern eine eigene Armee? Nein. Entsprechend lässt sich der Vergleich nicht ziehen. Wenn Bayern bewaffnet würde, um sich von Berlin loszusagen, wäre das bei weitem etwas anderes, als wenn Taiwans bereits bestehende Armee Waffen erhält. Schauen wir uns die internationale Anerkennung Taiwans als Teil Chinas an, die Carlens anführt. Angeblich teilen die USA und die BRD diese Auffassung. Auf dem Papier mag das stimmen, aber warum haben die USA dann eigene Verträge mit Taiwan? Warum sichern die USA Taiwan eine militärische Unterstützung im Falle eines chinesischen Angriffs zu? Warum unterhalten BRD, USA und unzähligen weitere Staaten in Taiwan inoffizielle Botschaften, so wie auch umgekehrt? Der Grund ist einfach: Aus Gier nach Expansion in den chinesischen Markt akzeptierten die imperialistischen Mächte formal die sogenannte Ein-China-Politik, um diplomatische Beziehungen zu China aufnehmen zu können. Das heißt aber nicht, dass diese Staaten diese Politik auch beherzigen. Unabhängig davon, dass ich als Kommunist nicht viel von der Politik kapitalistischer Staaten als Gradmesser halte, will ich auf einen wichtigen Grundsatz der kommunistischen Bewegung eingehen: die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Nun, man mag sich streiten, ob Taiwan ein eigenes Volk ist, da eine große Mehrheit Hanchinesen sind. Aber unabhängig von ethnischen Fragen, auf deren Grundlage Kommunisten ihre Politik meines Erachtens nicht aufbauen sollten, ist es Fakt, dass China und Taiwan seit 70 Jahren voneinander getrennt sind. Beide Länder haben eine eigene Entwicklung durchgemacht und auch eine eigene Bevölkerung. Statt auf militärische Aggression zu setzen, mit der China Taiwan offen droht, muss die Bevölkerung Taiwans über ihre Staatszugehörigkeit selbst entscheiden können. Taiwan hat faktisch den Anspruch auf ganz China fallen gelassen, die VR China aber nicht. Ein wirklich sozialistischer Staat würde die Bevölkerung selbst entscheiden lassen. Dazu gehört auch, die Unabhängigkeit zu erlauben. Aber die Realität ist eine andere, und ein chinesischer Angriff wäre zur Ablenkung von innenpolitischen Problemen durchaus denkbar – und mit einer militärischen Mannstärke von zehn gegen drei Millionen Soldaten hätte Taiwan keine Chance. Als Kommunisten dürfen wir uns nicht dazu verleiten lassen, in bester imperialistischer Manier eine Invasion als Friedenseinsatz zu beschreiben, wie es Carlens im letzten Satz tut. Als proletarischen Internationalisten muss unsere Solidarität auch der taiwanischen Arbeiterklasse gelten. Militärische Aggression dürfen wir nicht befürworten, egal ob aus China, Taiwan, der BRD oder den USA.
Emre Ögüt
Veröffentlicht in der jungen Welt am 27.10.2020.
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    Istvan Hidy