Leserbrief zum Artikel Antifaschismus: Ehrenwerte Eidbrecher
vom 10.10.2020:
Braune Kirche
Für den Artikel »Ehrenwerte Eidbrecher« danke ich! Zugleich erlaube ich mir, einige Hinweise zu geben, wie sich die damalige offizielle evangelische Kirche im »Fall Hermann Stöhr« verhalten hat: Seit August 1939 wurde sie von einem dreiköpfigen »Geistlichen Vertrauensrat« geführt, dessen Sprecher der »dienstälteste Bischof«, der hannoversche Landesbischof August Marahrens, war, »politisch ein gläubiger Anhänger Hitlers« ( Scholder). Dieser echt lutherische Bischof hatte sich kurz zuvor für seine hannoversche Landeskirche »zur nationalsozialistischen Weltanschauung bekannt, die in aller Unerbittlichkeit den politischen und geistigen Einfluss der jüdischen Rasse bekämpft«, und veranlasst, »dass die pfarramtliche Arbeit danach ausgerichtet würde«. Bald danach rechtfertigte er den deutschen Angriffskrieg gegen Polen als Kampf, »damit deutsches Blut zu deutschem Blut heimkehren darf«. Nachdem Hermann Stöhr am 16. März 1940 wegen »Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt worden war, wandte sich der Gefängnisseelsorger Harald Poelchau an den höchsten Vertreter des deutschen Protestantismus, Marahrens, um den Geistlichen Vertrauensrat zu einem Gnadengesuch zu bewegen. Diesen Antrag auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung am 12. April 1940 aufzunehmen verwarf der hitlergläubige Marahrens, weil ihm anderes wichiger war: Eine lobpreisende Gottesdienstabkündigung zu Hitlers Geburtstag zu entwerfen sowie einen Aufruf herauszubringen, nachdem Göring angeordnet hatte, »sämtliche Glocken aus Bronze abzuliefern, damit unser Volk durch eine genügend große Metallreserve gegen alle Möglichkeiten der weiteren Kriegsentwicklung gewappnet ist«. Zu diesem »Glockenopfer« schrieben die obersten Protestanten: »Wir wissen, dass es unsere Gemeinden mit Stolz erfüllt, dieses Opfer für den Führer und das Vaterland bringen zu dürfen«. Einen Tag nach diesem Tag der Schande der evangelischen Kirche, am 13. April, wurde das Todesurteil gegen Hermann Stöhr bestätigt, und am 21. Juni 1940 wurde es vollstreckt. Und Marahrens, der solches vielleicht hätte verhindern können, welche anderen Zeugnisse seines Glaubens verkündigte er sonst noch? Zum Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion versicherte er 1941 in einem Telegramm dem »Führer« »unwandelbare Treue« und versprach, »Gebete der Deutschen Evangelischen Kirche« darauf auszurichten, den »Pestherd Bolschewismus auszulöschen«, und nach dem 20. Juli 1944 ordnete er für die Gemeinden seiner Landeskirche an, ein vorformuliertes »Dankgebet für die gnädige Errettung des Führers« auszusprechen. Später, bei seinem altersbedingten Rücktritt 1947, sprach ihm seine Synode in Hannover einstimmig »in Blick auf seine Amtsführung als Ganzes volles Vertrauen und bleibende Dankbarkeit aus« und damit auch für seine Weigerung, ein Gnadengesuch für den zum Tode verurteilten Hermann Stöhr einzulegen. Im Sinne der »bleibenden Dankbarkeit« erhielt die lutherische Heimvolkshochschule in dem berühmten Loccum 1953 seinen Namen; dabei ist es bis zum heutigen Tage (Stand 12.10.2020 in Internetdokumenten) geblieben. Vielleicht finden sich nach dem dankenswerten Artikel von Helmut Donat Menschen, die bestrebt sind, das zu ändern und damit gleichzeitig den Namen und das Wirken von Hermann Stöhr in Loccum und auch anderswo zu Ehren zu bringen.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 13.10.2020.