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Leserbrief zum Artikel Zwei-plus-vier-Vertrag: Der verschenkte Staat vom 10.09.2020:

Irrtum Gorbatschow

Ein »besonderes« Jahr, das Jahr 1986. Zum 100. Geburtstag von Ernst Thälmann organisierte unsere DKP den Thälmann Wettbewerb. Für die Gewinnung von Mitgliedern für unsere Partei, Abonnenten für die UZ-Tageszeitung wurden Ernst-Thälmann-Sterne in Gold verliehen; eine UdSSR-Reise vom 2. Juli bis 16. Juli 1986 nach Moskau, Leningrad und Alma-Ata winkte. Eingeladen wurden wir vom Zentralorgan der KPdSU, der Prawda. Auf dem Hamburger Parteitag Anfang Mai 1986 wurde anderen Genossinnen und Genossen und mir das große, rote Ernst-Thälmann-Banner verliehen. Herbert Mies nahm die Ehrung vor; auf den Plätzen der Bruderparteien saß der Genosse der SED, Hermann Axen, Auschwitz- und Buchenwald-Häftling. Sein gesamtes gespartes Privatvermögen wurde Hermann Axen nach der sogenannten Wiedervereinigung geraubt.
»Gorbi« war bei uns in aller Munde. Wir glaubten fest daran, mit Gorbatschow, Glasnost und Perestroika erstarkt die kommunistische Weltbewegung. In der Sowjetunion selbst verspürten wir wenig vom Aufbruch. Gut drei Jahre später, am 6. Oktober 1989, 40. Jahrestag der DDR, kam es auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld zu einer nur Sekunden dauernden Unterhaltung mit dem Antifaschisten Heinz Kessler, Wehrmachtsdeserteur und in Abwesenheit von den Nazis zum Tode verurteilt. Gorbatschow versicherte Heinz Kessler: »Wir lassen Euch nicht im Stich!« Zwei Jahre später wurde Kessler nach langer Untersuchungshaft zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Gorbatschow war nicht bereit, vor Gericht als Zeuge für ihn auszusagen. Die zynische Antwort lautete: »Das ist Sache der Deutschen!«
Auf seiner Reise nach Ankara teilte Gorbatschow 1998 der Weltöffentlichkeit mit, dass die »Vernichtung des Kommunismus« sein eigentliches Lebensziel gewesen sei. Er erhielt viele Auszeichnungen, auch eine von Bild. Gorbatschow nahm alles an.
Unser Genosse Heinz Kessler erhielt im »wiedervereinigten« Deutschland einen viel wertvolleren Preis, den »Preis für Solidarität und Menschenwürde«! Dieser Solidaritätspreis wurde bisher unter anderem der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, Konstantin Wecker, Radweltmeister Täve Schur, Schauspieler Rolf Becker und der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano verliehen.
Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen-Blumenthal
Veröffentlicht in der jungen Welt am 15.09.2020.