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Leserbrief zum Artikel Massaker in Indonesien: Präventive Konterrevolution vom 24.07.2020:

Kommunismus ist nicht tot

Sehr gut recherchiert, aber man muss doch einiges ergänzen. Die Ereignisse in Indonesien bewegten mich sehr stark. Von einem indonesischen Freund – damals zur Ausbildung als Marineoffizier in den USA (er wurde – übrigens chinesischer Herkunft – wie wohl Hunderte oder Tausende, die dort in der Ausbildung waren, Anfang Oktober nach Jakarta zurückgeflogen) – hörte ich die Bestätigung, dass das alles von der CIA organisiert worden war. Rainer Werning liegt nicht ganz richtig mit einigen Details. Der Einfluss der KPI auf die Streitkräfte war groß (die Luftwaffe operierte mit sowjetischen MiG, und der Oberbefehlshaber der Luftwaffe war ein Linker). Aber die KPI hatte wohl nur 25 bis 30 Prozent der Militärs hinter sich. Suharto war ein genialer Blender. Er hatte zu allen Putschisten der Gestapu gute Beziehungen, und er war selbst an der Bewegung beteiligt. Er stand als hoher rechter Militär nicht auf den Todeslisten und verbrachte die entscheidende Nacht an der Küste beim Fischen. So erklärte er es später. Aidit hat sehr schwere Fehler begangen. Er war ein hervorragender Organisator und wohl auch ein sehr guter Redner. Aber strategisch und speziell militärpolitisch war er überfordert. Er hätte seine Partei auf einen Guerillakrieg vorbereiten müssen, und die Führung der verbündeten Militärs seitens der KPI war extrem schwach. Nachrichtendienstlich (der offizielle Nachrichtendienst der Republik wurde von einem mit Sukarno verbündeten Linken geleitet) war das, was die indonesische Linke leistete, unterste Schublade.
Die Reaktionen der KPI-Führung auf die Ereignisse am 30. September waren so diffus und grottenschlecht, dass man eine Führung bei den Ereignissen durch sie absolut ausschließen muss. Hier hatte Suharto wahrscheinlich vom Beginn an das Heft in der Hand. Die KPI rechnete seit dem Sommer 1965 mit einem Militärputsch. Er lag aber seit den 1950ern in der Luft! Ihre Gegenmaßnahmen waren sehr unglücklich. Man hätte sich viel eher auf solche Entwicklungen einstellen müssen. Wenn man die KP Vietnams mit der KPI vergleicht, waren das absolute Gegenpole in der Fähigkeit, schnell und intelligent auf die Ereignisse zu reagieren. Die kommunistischen Parteien in Malaysia und auf den Philippinen hatten wohl vom Kräfteverhältnis her keine Chance gegen den massiven Einsatz der britischen Armee bzw. auf den Philippinen gegen von den USA ausgebildeten Verbände.
China und die UdSSR spielten bei den Ereignissen eine untergeordnete Rolle. Man war an anderen Fronten massiv beschaeftigt. Nach dem Machtwechsel 1964 in der UdSSR hielt sich die Sowjetunion auch in Indonesien stark zurueck. Die starke Unterstuetzung in Vietnam kam erst spaeter.
Sukarno war ein Meister der politischen Manöver. Aber das Spiel mit den Gleichgewichten zwischen den diversen Lagern in Indonesien glitt ihm wohl zunehmend aus den Händen. Nach dem Putsch, als ihm die Macht mit großer Geschwindigkeit genommen wurde, bezeichnete er sich als Marxist. Er hatte große zunehmende Sympathien für den Marxismus. Aber er war nie Kommunist. Und er selbst war beim Versuch gescheitert, sich ein starkes eigenes politisches Lager aufzubauen.
Man darf bei Indonesien nie die verschiedenen, in sich sehr differenzierten muslimischen Bewegungen vergessen. Und da muss man sowohl der Führung der KPI als auch Sukarno den Vorwurf machen, dass sie diese extrem starke politische Formation anderen Kräften überließen. Man kann das mit Afghanistan vergleichen, wo marxistische Kräfte auch an der Gewinnung der Herzen der Muslime scheiterten. Man überließ diese sozialökonomisch auch stark benachteiligten Strömungen reaktionären, feudalen Propheten.
Reaktionäre muslimische Gruppierungen waren die Speerspitze beim Putsch 1965/67, der Sukarno von der Macht entfernte. Bis heute sind diese Kräfte mächtig und verhindern einen klaren Bruch mit der Suharto-Diktatur.
Und die KPI? Hunderttausende ihrer Mitglieder ließen sich ab Oktober 1965 meist in langen Schlangen wie Lämmer (Schnitt durch die Kehle) abschlachten. Hunderttausende verbrachten lange Jahre in Konzentrationslagern. Nicht alle der Opfer waren Kommunisten. Das Massaker bekam dann auch eine ausgesprochen sinophobe Note!
Noch heute sind die größten Wirtschaftsgruppen Indonesiens meist unter Kontrolle indonesischer Chinesen, mit denen auch Suharto enger zusammenarbeitete. Es war schon eine schizophrene Situation, als in Krisensituationen die antichinesische Karte gezogen wurde (zuletzt 1998). Aber ansonsten hatten lokale Chinesen und das chinesische Singapur einen dominierenden Einfluss auf die Wirtschaft Indonesiens.
Aber Hunderttausende KPI-Mitglieder überlebten und lernten zu schweigen. Der Kommunismus ist in Indonesien sehr viel schwächer als 1965. Aber er ist nicht tot.
Achim Lippmann, Shenzhen
Veröffentlicht in der jungen Welt am 28.07.2020.
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