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Leserbrief zum Artikel Leichtathletik: In Schlangenlinien vom 07.07.2020:

Trauer um Olympiasieger Willi Holdorf

Wenn ein Sportidol der DDR stirbt, ist er meist ein »Opfer des staatlichen Zwangsdopings«, »umstritten« oder gar Teil der »kriminellen Körperpolitik« der DDR (nach Ines Geipel).
Als am 5. Juli der Olympiasieger im Zehnkampf 1964 in Tokio, Willi Holdorf, im 81igsten Lebensjahr verstarb, war er der letzte des erfolgreichen Zehnkämpfertrios der BRD zu Olympia. Hans-Joachim Walde (Bronzemedaille), später Orthopäde in Niedersachsen, war bereits 2013 mit 70 Jahren und der dritte im Bunde, Horst Beyer (6. Platz), 2017 im Alter von 77 Jahren verstorben. Im Nachruf der Zehnkämpfer findet sich keine Andeutung zu Dopingverstrickungen. Da ich immer noch Verbindungen zu Insidern des BRD-Mehrkämpfersportes der 60iger Jahre unterhalte, kann ich einseitige Behauptungen und Anschuldigungen zum Leistungssport der DDR hier korrigieren.
Als Anfang der 60iger Jahre Werfer und Stoßer aus den DDR-Sportklubs von den Trainern und Ärzten verlangten, dass sie auch solche Pillen beschaffen sollten, mit denen die US-Muskelmänner prahlten und siegten, war das im Westen längst kein Geheimnis mehr. Tatsächlich waren dann die ersten Packungen auch aus Westproduktion. Auch die Zehnkämpfer West lebten nicht hinter dem Mond. Der berühmte Kurt Bendlin (»Nur Eisen gibt Kraft«) wurde von Neidern boshafterweise »Apotheke« genannt (Dr. Dohnike hatte übrigens den Spitznamen »Kanüle«). Der Geheimfavorit der BRD-Mehrkampfelite, Manfred Bock, reiste 1963 extra nach Kalifornien zum »Muskelaufbau«, wo die US-Mehrkampfsieger trainiert wurden. Leider ging der Versuch daneben und Holdorf, Walde und Beyer durften nach Tokio. Horst Beyer, erst in Wolfsburg, dann zum USC Mainz gewechselt, wurde dort in kurzer Zeit über 100 Meter um fast eine Sekunde schneller.
Mit dem Wissen von heute verstehen wir nun, warum der handgestoppte BRD-Rekord von Armin Hary im Sprint bereits 1960 bei 10 Sekunden lag, in der DDR erst 1971 Manfred Kokot diese Zeit schaffte.
Wenn man Rückschau auf den Sport der Vergangenheit hält, erlebt man oft sein blaues Wunder. Rudolf Harbig wird vorgeworfen, 1939 mit Pervitin seine Weltrekorde gelaufen zu sein, und die Weltmeister um Sepp Herberger 1954 sollen von ihrem Masseur einen »Muntermacher« gespritzt bekommen haben und gleich das Hepatitis-C-Virus dazu. Die Endlaufteilnehmer über 100 Meter in Seoul waren alle gedopt, Carl Lewis bereits vor Olympia gesperrt gewesen.
Warum behauptet die »Aufarbeitungsindustrie« der BRD verbissen, dass einzig das »Zwangsdoping« im DDR-Leistungssport kriminell und der Westen unschuldig war?
Dr. Gerd Machalett, Siedenbollentin