Leserbrief zum Artikel Ein Staat platt machen: Mit aller Gewalt
vom 24.01.2020:
Verbreitetes Wunschdenken
Dass Kohl im Dezember 1989 die Chance sah, als »Einheitskanzler« in die Geschichtsbücher einzugehen, darf angenommen werden. Ob er den überraschend beschleunigten Anschluss – tatsächlich eine Vereinnahmung der DDR durch die alte BRD – »mit aller Gewalt« vorantrieb, war nur ein Erklärungsmoment der Geschichte und eben nicht das wesentliche, will man diese nicht als Geschichte großer Männer schreiben. Die sich in der Folge auf dem DDR-Gebiet austobende staatliche, insbesondere ökonomische, juristische und soziale Gewalt war diejenige des westdeutschen Staatsmonopolismus, der die (Haupt-)Interessen seiner herrschenden Klasse bedient(e). Für die Mittel und Wege für deren Durchsetzung war/ist bekanntlich die sogenannte Politik zuständig, die in Diskussionen und Beratungen von Parteispitzen, Ministerien, Presse usw., aber wichtiger und geheim in Zirkeln abläuft, unter welchen sich Pressure groups bilden können, die ihre Hegemonie erreichen wollen.
Alle bedeutenden Akteure in diesem Findungsprozess werden die ideologische Lage in der zukünftigen bürgerlichen Kolonie zwingend berücksichtigt haben. Ihre Befunde werden sie auf der Basis von Recherchen, Befragungen und eventuell persönlichen Erfahrungen – wie z. B. Kohls Dresden-Besuch – gewonnen haben. Diese Befunde, die genauen Folgerungen, z. B. wie viele Pläne A, B ,C es gab und welches die entscheidenden Personen waren, sind bisher weder Roesler noch mir bekannt – Umrisse eventuell schon – und in 75 Jahren oder später einsehbar.
Man mag bedauern, dass die »Alternativen aus dem Osten« - Roesler meint wahrscheinlich »runder Tisch«, Umbaupapier(e), Modrow-Plan u. a. – nette Marginalien blieben. Aber dass ein Wissenschaftler wie er noch 2020 Wunschdenken anhängt (»hätte«, »wäre«), ist unter einst positiv zur DDR-Stehenden häufig anzutreffen.
Bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich davon aus, dies als späten Ausdruck des vor allem in der Honecker-Ära unter der DDR-Intelligenzija verbreiteten Voluntarismus anzusehen.
Alle bedeutenden Akteure in diesem Findungsprozess werden die ideologische Lage in der zukünftigen bürgerlichen Kolonie zwingend berücksichtigt haben. Ihre Befunde werden sie auf der Basis von Recherchen, Befragungen und eventuell persönlichen Erfahrungen – wie z. B. Kohls Dresden-Besuch – gewonnen haben. Diese Befunde, die genauen Folgerungen, z. B. wie viele Pläne A, B ,C es gab und welches die entscheidenden Personen waren, sind bisher weder Roesler noch mir bekannt – Umrisse eventuell schon – und in 75 Jahren oder später einsehbar.
Man mag bedauern, dass die »Alternativen aus dem Osten« - Roesler meint wahrscheinlich »runder Tisch«, Umbaupapier(e), Modrow-Plan u. a. – nette Marginalien blieben. Aber dass ein Wissenschaftler wie er noch 2020 Wunschdenken anhängt (»hätte«, »wäre«), ist unter einst positiv zur DDR-Stehenden häufig anzutreffen.
Bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich davon aus, dies als späten Ausdruck des vor allem in der Honecker-Ära unter der DDR-Intelligenzija verbreiteten Voluntarismus anzusehen.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 28.01.2020.