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Leserbrief zum Artikel Bauhaus: Meister Schlemmer vom 02.11.2019:

Linke Erfolgsgeschichte

Weltweit wird in diesem Jahr das vor hundert Jahren in Weimar gegründete Bauhaus gewürdigt. Zahlreiche Veröffentlichungen, Ausstellungen sowie zwei ihm gewidmete Museumsneubauten in Weimar und Dessau preisen es als einen bedeutenden Beitrag Deutschlands zur Weltkultur. Weniger erwähnt wird, dass das Bauhaus in all seinen Entwicklungsphasen von linken Kräften ermöglicht, von rechten Kräften bekämpft, letztendlich liquidiert wurde.
Mit Ausbruch des ersten Weltkrieges verließ der belgische Architekt Henry van de Velde Deutschland. Für seine Nachfolge als Direktor der Weimarer Kunstgewerbeschule empfahl er den Berliner Architekten Walter Gropius. Dessen Reformvorstellungen fanden 1916 beim Großherzoglichen Staatsministerium keine Gegenliebe. Drei Jahre später jedoch – durch die revolutionären Ereignisse geschwächt – mussten die konservativen Reformgegner die Gründung des Bauhauses hinnehmen. Im April 1919 stimmten die USPD, SPD und KPD in der neuen Thüringer Landesregierung für das Bauhaus als staatliche Einrichtung. Entsprechend den Reformvorstellungen von Walter Gropius gingen die Weimarer Kunstgewerbeschule und die Weimarer Kunsthochschule in ihm auf. Fünf Jahre später siegte die Deutschnationale Volkspartei bei den Wahlen in Thüringen. Einschneidende Etatkürzungen der neuen rechtskonservativen Landesregierung zwangen die Leitung des Bauhauses, die Arbeit zum 1. April 1924 einzustellen.
Inzwischen durch Ausstellungen und Öffentlichkeitsarbeit weit über Weimar hinaus bekannt, erhielt das Bauhaus Angebote aus mehreren Städten. Mit seinen Mitarbeitern entschied sich Walter Gropius für das kleine anhaltische Dessau. Für die weitere Arbeit erschien die Nähe zur hochentwickelten Industrie Mitteldeutschlands vorteilhaft. Mit der Stimmenmehrheit der DDP (Deutsche Demokratische Partei), der SPD und der KPD beschloss der Stadtrat 1925 die Einrichtung des Bauhauses; diesmal als städtischer Institution. Dagegen stimmten die Rechtsnationalen und die Nationalsozialisten. Ungeachtet der erzielten Erfolge hetzten die Bauhaus-Gegner – allen voran die Nationalsozialisten – unentwegt gegen das Bauhaus. »Dessau unter dem Sowjetstern … Verbastardisierung und Vernegerung unseres Daseins durch die Vergewaltigung unseres Formwillens … Verpulvertes Geld unserer Bürgerschaft.« So im März 1930 in der Anhalter Woche, dem Sprachrohr der Nationalsozialisten.
Der Anfeindungen müde, erklärte Gropius 1928 seinen Rücktritt. Für seine Nachfolge schlug er den Schweizer Architekten Hannes Meyer vor. Während sich Meyer bemühte, im Zusammenwirken mit der Industrie funktionell und ästhetisch hochwertige Produkte für die Massenproduktion zu entwickeln, erfasste die politische Polarisierung auch das Bauhaus. Immer aggressiver agierten die Deutschvölkischen und die Nationalsozialisten gegen das Bauhaus. In der Hoffnung, ihre Angriffe zu entschärfen, »opferte« der Bürgermeister Hesse schließlich Hannes Meyer. Als Vorwand diente eine private Geldspende von Hannes Meyer für die streikenden Mansfelder Bergarbeiter. Ende Juli 1930 musste er sein Amt zur Verfügung stellen. Im August 1930 wurde der Berliner Architekt Mies van der Rohe zum neuen Bauhausdirektor berufen. Die Angriffe gegen das Bauhaus ließen dennoch nicht nach. In ihrer Studentenzeitung prophezeite die kommunistischen Studentenfraktion des Bauhauses 1931: »Heute objektiv zu sein, wie es sich diese Herren wünschen, ist ein Unsinn, heute passiv zu sein, ist ein Verbrechen, denn diese heiß propagierte Objektivität heißt Faschismus.« Mit den »Herren« waren die Leitung des Bauhauses und der Magistrat der Stadt Dessau gemeint; mit »objektiv« die immer wieder von diesen »Herren« beschworene politische Neutralität des Bauhauses. Zusammen mit den Deutschnationalen errangen die Nationalsozialisten bei den Wahlen 1932 im Dessauer Gemeinderat die absolute Mehrheit. Umgehend stellten sie den Antrag: »Der Lehrbetrieb am Bauhaus (Hochschule für Gestaltung) ist mit Wirkung ab 1.Oktober dieses Jahres einzustellen …« Lediglich die vier Kommunisten und der Bürgermeister stimmten im Gemeinderat dagegen. Die SPD enthielt sich.
In Berlin, in einem leerstehenden Fabrikgebäude, wurde bereits am 18.Oktober 1932 die Arbeit wieder aufgenommen. Jetzt als private Einrichtung ohne öffentliche Zuwendungen. Doch schon am 11. April 1933 – die Nazis hatten in ganz Deutschland die Macht übernommen – drangen Polizei und SA in das Gebäude ein. Angeblich, um kommunistisches Material sicherzustellen, das für die politisch inszenierten Prozesse gegen die Unterstützer des Bauhauses in Dessau verwandt werden sollte. An eine Weiterführung des Bauhauses war auch in Berlin nicht mehr zu denken. Auf Beschluss der Lehrerkonferenz vom 20. Juli 1933 wurde es aufgelöst.
Unter seinem Direktor Hannes Meyer hatte sich das Bauhaus verstärkt den sozialen Herausforderungen seiner Zeit gestellt. Entsprach es doch dem Gebot sozialer – heute auch ökologischer – Verantwortung, mit gesunden Wohnungen sowie erschwinglichen und zugleich ästhetisch und materiell langlebigen Gebrauchsgütern breiten Schichten der Bevölkerung Alltagskultur zu ermöglichen. »Volksbedarf statt Luxusbedarf«, hatte Hannes Meyer gefordert.
Zum Gründungsjubiläum des Bauhauses werden vor allem seine ästhetischen Neuerungen hervorgehoben. Seine sozialen und ökologischen Bestrebungen treten dabei in den Hintergrund. Nicht erwähnt wird, dass seine Existenz den liberalen, besonders den linken Kräften der Weimarer Republik zu verdanken ist. Gegen den Widerstand von rechts haben sie seine Gründung in Weimar durchgesetzt und die Fortsetzung seiner Arbeit in Dessau ermöglicht. Mit dem Sieg der rechten Kräfte – erst in Weimar, dann in Dessau, zuletzt in ganz Deutschland – war das Schicksal des Bauhauses besiegelt.
Christian Helms, Dresden
Veröffentlicht in der jungen Welt am 12.11.2019.