Leserbrief zum Artikel Berufsverbote: Lupenreines Unrecht
vom 14.10.2019:
Betroffene, keine Opfer
Kaum bekannt, aber aufschlussreich, was die BRD ab 1972 alles unternommen hat, um Millionen Überprüfungen, offiziell 2.200 Verfahren und 1.515 Berufsverbote zu leugnen: Um den »hässlichen Verunglimpfungen im Ausland und der Polemik des Wortes Berufsverbot entgegenzutreten«, reisten Regierungsvertreter quer durch Europa. Kohl, Strauß, Ex-Nazi-Richter Filbinger, der eiserne Otto Graf Lambsdorff, Hans-Jürgen Wischnewski oder Horst Ehmke suchten nach dem »Radikalenerlass« elf Länder der damaligen EG und Skandinaviens heim. Die Deutsche Volkszeitung sprach vom »siebenjährigen Krieg zur Abwehr der Berufsverbots-Kampagne«. Motto der Propaganda und Tausender mitgebrachter Flugblätter: Berufsverbote gebe es in der BRD nicht, sondern »Entfernungen und Fernhalten von Verfassungsfeinden aus dem öffentlichen Dienst«. Was diese »Aufwendungen für Auslandsaufklärung – Stichwort: Berufsverbot« gekostet haben, wurde im Bundestag im Mai 1979 (Drucksache 8/2761) detailliert aufgelistet: 72.232.600 DM (37 Millionen Euro). Nicht wenige, die mit Berufsverbot belegt wurden, müssen heute von 600 Euro Rente leben. Wir fordern daher nicht nur Rehabilitierung, sondern zumindest in diesen Fällen auch Entschädigung. Der aktuelle Sammelband ist dafür eine gute Unterstützung. Bei der Gelegenheit: Leider wird auch in jW der Begriff »Berufsverbotsopfer« verwendet. Wir sind Betroffene, keine »Opfer«. Allein für den Raum Heidelberg/Mannheim sind inzwischen 134 Nichteinstellungen und Entlassungen Linker dokumentiert. (Bei extrem Rechten kam die Landesregierung in der Region als einzigem beim Holocaustleugner und bekennenden Rassisten Günter Deckert, ehemals NPD-Vorsitzender, 1988 um eine Entlassung aus dem Schuldienst nicht herum.)
Veröffentlicht in der jungen Welt am 15.10.2019.