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Leserbrief zum Artikel Kommentar: Gekippt vom 11.10.2019:

Schweigen und Heuchelei

Der Bundespräsident hat das Wort »Nie wieder« in den Mund genommen, als er sich zu dem Massakerversuch vom 9. Oktober in Halle gegen die jüdische Gemeinde äußerte. Sein Bezug war der faschistische Völkermord an den europäischen Juden, denen unvorstellbare sechs Millionen Menschen zum Opfer fielen. Und ein großer Teil des übrigen deutschen Volkes hatte dies hingenommen, soweit es nicht beteiligt war. Dieses »Nie wieder« war aber ein unvollständiges und unehrliches »Nie wieder«. »Nie wieder« Massenvernichtung und Genozid hätte es heißen müssen, sei es gegen Juden oder Sinti und Roma, gegen die Armenier oder andere Völker. Dazu gehören auch die entsetzlichen Massaker und der Genozid gegen die Palästinenser, ausgeübt von zionistisch geführten Juden nach dem Zweiten Weltkrieg. Es stünde den jüdischen Gemeinden gut zu Gesicht, nicht nur die bekannten verheerenden Massaker von Sabra und Schatila im Libanon zu benennen, welche die israelische militärische Führung einschließlich der Geheimdienste ermöglicht und mit zu verantworten hat. Die hohe Zahl von Massakern auf palästinensischem Boden mit vielen, vermutlich mehreren tausend Toten, die Vernichtung und Auslöschung von weit über 500 palästinensischen Dörfern auf dem Boden, der heute Israel einverleibt ist, wobei über 800.000 Palästinenser gewaltsam vertrieben wurden – das alles ist kaum öffentlich und noch gar nicht ungesühnt. Die Verantwortlichen werden in Israel teils als Helden gerühmt. Und deutsche Politiker schweigen dazu oder tun es mit, wie auch die meisten anderen in der Welt. Und schon wird ein neues Blatt beschrieben im Geschichtsbuch deutscher Verbrechen und der Beteiligung an solchen. Die Türkei überfällt den syrischen Staat mit ihrer ganzen Kriegsmaschinerie, und die Politiker und Leitmedien sprechen von einer Offensive gegen die kurdische YPG auf syrischem Boden. Die völkerrechtswidrige Invasion mit dem sogar erklärten Ziel der Besetzung nach dem israelischen Muster der vergangenen Jahrzehnte gehört verurteilt und zu 100 Prozent sanktioniert. Es wird der Türkei zwar mit bisher lächerlichen Sanktionen gedroht, und es werden keine »Genehmigungen« für weitere Exporte von Rüstungsgütern erteilt, »welche in Syrien eingesetzt werden könnten«. Als ob es dafür untaugliche Rüstung gäbe. Doch der Jurist hört noch eine feine aber entscheidende weitere Tatsache heraus. Eine Genehmigung wird regelmäßig nach einem Vorgang erteilt. Das bedeutet, dass sehr wohl exportiert werden kann, nur bekommt eben dieser Export keine Genehmigung der Regierung, was die kriegführende Türkei nicht weiter tragisch nehmen dürfte; und die deutschen Exporteure auch nicht, denn weg ist weg. Die Verbrecher der deutschen Regierung sollten endlich abgeurteilt werden als solche und auch die der ehemaligen Regierungen, die mit Bomben über Belgrad flogen oder den Kosovo faktisch annektierten oder in Afghanistan umtriebig waren und weiter sind usw. Der Bundespräsident sollte im übrigen vor Scham im Boden versinken, wenn es um das Thema Rüstung geht. Hat er doch dem US-Präsidenten und Friedensnobelpreisträger Obama die Steigerung der deutschen Rüstungsausgaben auf die Höhe von zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) vertraglich zugesichert – das wäre derzeit das Doppelte der heutigen 42 Milliarden Euro. Ein Sozialdemokrat soll mal erklären, in welcher sachlichen Beziehung Rüstungsausgaben zum BIP stehen. Als ob die Wirtschaftskraft den Verteidigungsbedarf generieren würde. Aber für Studenten wurde neun Jahre am Stück keine BaföG-Erhöhung gewährt, so dass diese verarmten. Eine Orientierung von Sozialausgaben am Wachstum des BIP hätte sicherlich Sinn. Aber doch nicht der Bedarf an Kanonen, Flugzeugen, Raketen und Panzern. Was haben wir für einen Brandstifter als Bundespräsidenten!
Renato Lorenz
Veröffentlicht in der jungen Welt am 21.10.2019.
Weitere Leserbriefe zu diesem Artikel:
  • Absurditäten

    Endlich hat einmal ein Leser der jW, Renato Lorenz, diesen Zweiprozentunfug der Rüstungsausgaben auf den Punkt gebracht, sehr gut! Aber nicht nur »ein Sozialdemokrat sollte erklären«, welchen sachlich...
    Emmo Frey, Dachau