Leserbrief zum Artikel Hippiebewegung: Kapitaler Mythos
vom 16.08.2019:
Mehr Woodstock
Woodstock war das größte und schönste Erlebnis, das ich – nicht – gehabt habe. Frank Schäfer sieht jene Tage, in denen sich viele junge Menschen wohl mehr als je zuvor und mehr als je danach als »Gottes Kinder, gemacht aus goldenem Sternenstaub, auf dem Weg zurück zum Garten Eden«, fühlten, deutlich rationaler und kritischer. Sicher, Woodstock ist in der Tat nicht der Himmel auf Erden gewesen, sondern ein drogistisch und später dann medial und kommerziell aufbereitetes Magical. Aber was zählt und erzählt das heute, insbesondere für die amerikanische Kultur und Politik? Das Narrativ Woodstock steht antipodisch zur derzeitigen gesellschaftlichen Situation in Amerika, aber auch darüber hinaus. Es steht dafür, dass eine bessere, menschlichere Gesellschaft mit mehr Love, Peace and Understanding möglich sein sollte und sein kann. Woodstock ist und bleibt daher für mich eine genuin wirksame Droge für Glaube und Hoffnung. Diese vermeintlich ewiggestrige Überzeugung mag indes noch archaischer und amorpher anmuten mit der spitzfindigen Bemerkung, dass mir eine funktionierende Demokratie ohne ebendiesen Spirit (Liberalität, Verständnis und Solidarität als Dreiklang für ein friedlich(er)es Miteinander) in realiter nicht möglich scheint. Doch auch viele derer, die bei der Mutter aller Festivals tatsächlich dabei waren, teilen den (ethischen) Idealismus: »Die Welt von heute braucht mehr Woodstock.«
Veröffentlicht in der jungen Welt am 16.08.2019.