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Leserbrief zum Artikel Kommentar: Erregungsmechanismus vom 05.06.2019:

An der Schwelle

Dieser Kampf um die Deutungshoheit ist nichts als Machtkampf, Deutungshoheit gleich Macht (in der bürgerlichen Demokratie). Über Deutungshoheit wird in der bürgerlichen Demokratie Macht ausgeübt. Verlust der Deutungshoheit ist unweigerlich das Ende der bürgerlichen Demokratie.
1.) Wird die Deutungshoheit an das verloren, was durch die bürgerliche Darstellung als »rechts« bezeichnet wird, drohen nationale Kapitalismus-Alleingänge und massive Profitverluste für die (mächtigsten) Kapitalgruppen um die Globalisierer (auch und insbesondere deutsches Kapital. Folge: bodenloser Hass deutschen Kapitals auf Trump, weil Profite in US flöten gehen).
Beispiele:
– Deutschland 1933. Endete nicht gut. Am Ende standen für das deutsche Kapital ein verlorener Krieg und 80 Millionen Tote für die Welt. Von den Kapitalbesitzern allerdings hatte es kaum jemanden getroffen.
– USA 2016: zumindest teilweise (das Aus für Sanders bereits durch HRC, letztendlich Sieg für Trump/rechts). Dort wirken eher Konflikte zwischen unterschiedlichen Kapitalgruppen pro Trump, nicht ein potentieller Sieg von links. Die Handelspolitik Deutschlands und Chinas ist Teilen des US-Kapitals ein Dorn im Auge. Im Augenblick setzt Trump, wie das faschistische Deutschland, auf militärische Power und Druck zur Durchsetzung nationaler Kapitalinteressen gegen die Interessen exnationalen Kapitals. Aus ökonomischer Sicht ähnlich wie Deutschland ab ’33. Wenn Ökonomie das Primat der Politik ist, ist die gegenwärtige amerikanische Politik identisch zu der Deutschlands ab ’33. Vielleicht denkt Trump mal drüber nach, wie das ausging? Auf lange Sicht ist Trump gegen die kapitalkräftigeren Globalisierer nur durch offene Diktatur aufrechtzuerhalten, d. h. durch Ausschalten der liberalen Presse, welche sich im Besitz der Globalisierungsgewinner befindet, das wäre eine totale Kontrolle und Gleichschaltung ähnlich wie im Faschismus in Deutschland. Das Ministerium für Heimatschutz und die weitreichenden Machtbefugnisse dahinter deuten dorthin.
2.) Droht der Kampf um die Deutungshoheit, an Links verloren zu gehen, steht fürs Kapital alles auf dem Spiel (Besitz bis Leben). Die Antwort des Kapitals sind pure Gewalt und Bürgerkrieg. Wenn möglich, zieht das Kapital im Zweifel die Option 1.) vor, ehe man komplett die Macht an links verliert – siehe a), b), c).
Historische Beispiele:
a) Deutschland 1933: 80 Millionen Tote,
b) Indonesien 1965: drei Millionen Tote,
c) Chile 1973: mindestens 5.000 Tote,
d) Vietnam bis 1975: circa 3,5 Millionen Tote,
e) Nicaragua ab 1980: circa 50.000 Tote,
f) El Salvador ab 1978: circa 100.000 Tote.
Zynisch könnte man sagen, die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Status quo (bürgerliche Demokratie, Tolerierung des Belogenwerdens, solange die eigene Existenz nicht bedroht wird) wäre die beste Option, um in Mitteleuropa irgendwie weiterzuleben, weil wir der anderen Seite aufgrund der historischen Erfahrungen im Zweifel null Skrupel zutrauen müssen. Im Beispiel b) hat die amerikanische Botschaft in Jakarta täglich Todeslisten direkt an die Killerkommandos verteilt.
Aber irgendwie fühlt sich die bürgerliche Demokratie inzwischen selbst in Deutschland doch schon sehr, sehr falsch an ... Die Wählerzuläufe der AfD kommen nicht von ungefähr – nichts anderes als Zeichen der schwindenden Deutungshoheit gleich Macht (der Bürgerlichen).
Fakt bleibt: Wird es eng mit der Deutungshoheit gleich Macht in der bürgerlichen Demokratie, werden die Optionen unter kapitalistischen Verhältnissen nicht besser, die AfD ist der Weg in 1.).
Es gab auch durchaus schon Leute, die die Entwicklung der bürgerlichen Demokratie schon vor uns erkannt und formuliert haben, einer stand dafür in Leipzig vorm Volksgerichtshof.
Ist die bürgerliche Demokratie am Ende, folgt die offene Diktatur des Kapitals!
Wir stehen genau an der Schwelle.
Thilo Schwarz
Veröffentlicht in der jungen Welt am 13.06.2019.