junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 04. / 5. Mai 2024, Nr. 104
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!

Leserbriefe

Liebe Leserin, lieber Leser!

Bitte beachten Sie, dass Leserbriefe keine redaktionelle Meinungsäußerung darstellen. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zur Veröffentlichung auszuwählen und zu kürzen. Leserbriefe sollten eine Länge von 2000 Zeichen (etwa 390 Wörter) nicht überschreiten. Kürzere Briefe haben größere Chancen, veröffentlicht zu werden. Bitte achten Sie auch darauf, dass sich Leserbriefe mit konkreten Inhalten der Zeitung auseinandersetzen sollten. Ein Hinweis auf den Anlass Ihres Briefes sollte am Anfang vermerkt sein (Schlagzeile und Erscheinungsdatum des betreffenden Artikels bzw. Interviews). Online finden Sie unter jedem Artikel einen Link »Leserbrief schreiben«.

Leserbrief zum Artikel Aus Leserbriefen an die Redaktion vom 10.11.2018:

Zum Leserbrief »Für Landreform«

In der Rubrik »Leserbriefe« vom 10./11. November nimmt Herr Hans Wöcherl Stellung zu den Diskussionen um die Landreform nach der Oktoberrevolution in Russland. Am Ende seiner Ausführungen kommt er zum Schluss, dass eine weltweite Landreform nötig ist, die viele Kleinbauern schafft, u. a. weil deren Produktivität um ein Vielfaches höher sei als die der Großflächenlandwirtschaft. Aber Produktivität ist nun mal das Verhältnis von Aufwand und Nutzen, und da sind die Großbetriebe eindeutig im Vorteil! Aus diesem einfachen Grunde gehen doch die Kleinbetriebe infolge der Konkurrenz kaputt. Und außerdem empfehle ich Herrn Wöcherl, mal ein Jahr lang als Kleinbauer die eigene Existenz zu sichern. Das ist schwere Arbeit von früh bis spät, kaum einen Tag frei, keinen zweiwöchigen Urlaub und andere Vergnügungen, denen sich der einem idealistischen Bauernbild anhängende Stadtbewohner hingibt. Natürlich ist die auf Profitmaximierung beruhende Agrarkonzern-Landwirtschaft umzugestalten. Ein genossenschaftlicher Ansatz, der den Beschäftigten ein ordentliches Einkommen und Arbeitsrechte sichert, könnte möglicherweise der beste Ansatz sein.
Dr. Christoph Schuster, Radeberg

Kommentar jW:

Auf diesen Brief gibt es eine Antwort:

In der Leserzuschrift »Für Landreform« wird die These vertreten, die Produktivität von Kleinbauern sei um ein Vielfaches höher als die der Großflächenlandwirtschaft. Dem wird im Leserbrief »Alternative Genossenschaft« widersprochen. Produktivität sei nun mal das Verhältnis von Aufwand und Nutzen, und da seien die Großbetriebe eindeutig im Vorteil. Klingt plausibel, ist aber nicht die ganze Wahrheit. Fragt sich nämlich, was wird im Aufwand alles berücksichtigt. Das gilt allgemein, nicht nur in der Landwirtschaft. Geht es um Produktivität im gesamtgesellschaftlichen Sinne oder nur um die jeweilige einzelbetriebliche? Entweder gehen in die Produktivitätsberechnung nur die »internen« Kosten des jeweiligen Einzelbetriebs ein, wie in der bürgerlichen Froschperspektivenwirtschaft üblich. So werden dann sämtliche Folgekosten und dergleichen vom Verursacherbetrieb weg abgewälzt, »externalisiert«. Oder alle »externen« Kosten fließen mit ein, beispielsweise Folgekosten des Einsatzes von Glyphosat. Zukunftsfähig könnte nur eine solche Produktivitätsrechnung sein. Da wäre aber der Staat gefragt (Preise, die die Wahrheit sagen). Davon abgesehen, ist eine in größeren Einheiten genossenschaftlich organisierte Landwirtschaft sicher rationeller. Das zeigt schon die DDR-Erfahrung.
Peter Maaßen, Frankfurt am Main

Es gibt noch eine Antwort von Hans Wöcherl:

Die Antwort von Herrn Dr. Chr. Schuster zeugt von einiger Unkenntnis auf dem Gebiet der Welternährung im allgemeinen und der Landwirtschaft in Deutschland im besonderen. Ich selbst bewirtschafte seit 35 Jahren einen zehn Hektar großen Biobetrieb und kenne also die Landwirtschaft, wie es sich Herr Schuster wünscht, von innen heraus und aufgrund meiner Recherchen als Soziologe auch in größeren Kontexten und Zusammenhängen. Vor diesem Hintergrund kann ich Herrn Schuster nur in einem Punkt zustimmen, und zwar hinsichtlich der Erfordernis einer Zusammenarbeit insbesondere der kleineren Betriebe.
In den übrigen Punkten irrt Herr Schuster durchweg:
UN-Organisationen, die sich mit Ernährung befassen, und auch der Weltagrarrat sind sämtlich der Auffassung, dass die Menschheit künftig nur durch bäuerliche, also überwiegend kleinere Betriebe ernährt werden kann, die bereits derzeit über 60 Prozent der Versorgung sicherstellen.
Langzeituntersuchungen in den USA zeigen, dass die Flächenproduktivität mit zunehmender Betriebsgröße abnimmt und umgekehrt kleine Betriebe aufgrund ihrer Vielfaltsproduktion und ihrer grünen Brücken um ca. das zehnfache produktiver sind als z. B. Mais- oder Soja-Monokultur-Betriebe. Kleinstbetriebe, die mit Permakulturtechniken arbeiten, sind um den Faktor 100 produktiver als diese Riesenbetriebe (kann bei Montgomery, Dreck, nachgelesen werden. Aber Montgomery ist nicht der einzige, der die Ideologie von der Produktivitätsüberlegenheit großer Betriebe aufs Korn nimmt).
Ich hänge keinem idealistischen Bauernbild an, sondern dem Konzept einer ganzheitlichen ökologischen Landwirtschaft, die die Natur nicht zerstört, sondern bewahrt und mit ihren systemischen, kreislaufbegründeten Eigenkräften viel besser als bisher erforscht und so nutzt, dass sich die biosphärischen Systeme im Boden und auf dem Boden reproduzieren können und nicht, wie das heute, in der industrialisierten Landwirtschaft der Fall ist, durch industrielle, profitbringende, Mittel ersetzt und zerstört wird.
Die Landwirtschaft ist nach Expertisen, die von den UN in Auftrag gegeben worden waren, zu circa 50 Prozent für den Klimawandel verantwortlich. Und warum wird das überall heruntergerechnet auf sieben bis 15 Prozent? Weil man sich den Markt für Fleisch und andere tierische Produkte, Kunstdünger, Pestizide, Futtersoja aus Amazonien usf. und den Glauben an ein unbegrenztes Wachstum und billige Lebensmittel nicht kaputtmachen lassen will.
Die Großflächenlandwirtschaft ist vor allem auch deshalb keine Option für eine sichere Ernährung weltweit, weil sie 1. nicht dazu in der Lage ist, die natürliche Bodenfruchtbarkeit, insbesondere den Humusgehalt im Boden, zu erhalten, 2. nicht dazu in der Lage ist, die in natürlichen Systemen gegebenen Gleichgewichtstendenzen z. B. zwischen Nützlingen und Schädlingen, zwischen Mikroben und Pilzen usf. für ein gesundes Aufwachsen der Pflanzen zu nutzen und eigentlich nur möglich ist, wenn man mit Pestiziden arbeitet. Aber: einmal Pestizid, immer Pestizid: Ist das Gleichgewicht erst einmal zerstört, ist das ganze für die Chemie ein Selbstläufer, 3. weniger produktiv ist und 4. sehr umfangreiche Infrastrukturen und Transportaufwendungen zur Verteilung der Lebensmittel erfordert. Allein der Lebensmitteltransport verursacht fünf bis sechs Prozent der Treibhausgase.
Sie können den Text von Herrn Schuster gerne veröffentlichen, würde mir dann aber wünschen, dass Sie auch meine Antwort oben veröffentlichen.
Hans Wöcherl, Biobauer seit 35 Jahren, Schlosser sowie Industrie- und Betriebssoziologe

Veröffentlicht in der jungen Welt am 20.11.2018.