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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Erinnerungsweltmeister: »Wir sind auch noch da« vom 03.11.2018:

Unersetzlich multikulti

Die Besprechung Ihres Buches hat mir gefallen. Habe Ihr Buch »Desinteressiert euch!« auch gleich erworben und bin erfreut, dass es besser lesbar ist, als die Besprechung ihres Buches von Roland Weber vermuten ließ!
Nun der Grund meiner Schreibe an Sie: Kürzlich fuhr ich mehrfach mit der S-Bahn von Neugraben nach Blankenese und natürlich auch wieder zurück. Als passionierter Autofahrer ist so etwas ein »Akustik-Erlebnis pur«. Der Grund meiner Niederschrift ist das Tucholzky Zitat: »… die Rechten sollten nicht so tun, als hätten sie Deutschland für sich gepachtet« in der Buchbesprechung, letzter Absatz, mit der folgenden Erweiterung. Lesen Sie selbst:

Die AFD hat keine Chance

Froh, in Neugraben in der S-Bahn auch noch einen Sitzplatz bekommen zu haben, meine Zeitung aus meiner Jackentasche hervorgeholt und meine mich begleitende Frau gebeten, mir meine Brille aus ihrer Tasche zu reichen. Aber ich bin dabei nur halb bei der Sache. So viele Eindrücke, Geräusche, Sprachfetzen erreichen mich, meine Ohren. Wo bin ich hier eigentlich? Sitze ich hier etwa in Vancouver im Sky Train, zu Besuch bei unserer Ziehtochter Anna Wardowicz? Alle um mich herum – die, die nicht mit ihrem Smartphone rummachen – sprechen polnisch, chinesisch, englisch, italienisch usw. He, plötzlich werde ich auf deutsch angesprochen. »Kontrolle, bitte ihren Fahrtausweis.« Ich bin irritiert. Aber die Kontrolleurin erklärt sich. »Ich bin vor 30 Jahren nach Kanada eingewandert. Ich habe Sie gleich als Deutsche erkannt und darum auch in ihrer Sprache angeredet!«
The next station is Hauptbahnhof, so klingt die internationale Durchsage in Zug.
Diese Erinnerung ist perfekt, deckungsgleich. Aber ich sitze hier in Hamburg in der S-Bahn und nicht in Vancouver im Sky Train! Buntes Gewusel aus Sprachen und leisen Musiken umgibt uns. Gegenüber sitzen zwei Frauen, gerade wohl von der Arbeit kommend, erfahren wir aus einem kleinen Gespräch mit ihnen. Die eine der beiden hatte ihrer Nachbarin ein Amulett gezeigt, wir es auch bewundert. Und so begann der Small Talk. Die beiden Afrikanerinnen freuten sich über unsere Neugier und gaben bereitwillig Auskunft. Schräg uns gegenüber ein auch müde wirkender Mann, vielleicht ein Kurde oder Ukrainer. An seiner Kleidung erkannte ich unzweideutig, er hatte seine Schicht im Hafen wohl gerade beendet. Ein buntes Menschengewimmel hier in der S-Bahn morgens um 7 Uhr. Aber wir waren nicht in Vancouver, sondern in Hamburg, und mindestens dreiviertel der Menschen hier in der Bahn hatten einen »Migrationshintergrund«. Ich denke daran, bei meinem letzten Krankenhausaufendhalt, der Arzt ein Tscheche, mein Zahnarzt ein Kurde und mein Augenarzt in Buxtehude ein Syrer.
Die AfD hat keine Chance. Sie sollte sich auflösen. Ohne die vielen Einwanderer ginge bei uns gar nichts mehr, keine Müllabfuhr, keine Arbeit beim Hoch-/Tiefbau, den Baustellen, kein Verkauf in den Warenhäusern und keine medizinische Versorgung! Wir sind bereits unersetzlich »multikulti«, die Menschen im Sky Train in Vancouver oder wir in der S-Bahn in Hamburg beweisen es!
Gerd Weißmann