Leserbrief zum Artikel Demonstration zum Jahrestag der Novemberrevolution
vom 08.11.2018:
Aus Geschichte nichts gelernt?
Der 9. November ist ein Schicksalstag der deutschen Geschichte. Die Abdankung des Kaisers als Höhepunkt der Novemberrevolution liegt genau 100 Jahre zurück, zugleich jährt sich die Reichspogromnacht vor 80 Jahren. Zwei Ereignisse, die sich diametral gegenüberstehen: auf der einen Seite der hoffnungsvolle Aufbruch in die Demokratie, auf der anderen Seite die offene Barbarei. Die Novemberrevolution hat sich im Herbst 1918 mit rasender Geschwindigkeit über ganz Deutschland ausgebreitet, vor allem durch die Eisenbahn. Die Flashmobaktion »Die Revolution rollt« des Vereins Weimarer Republik e. V. stellte mit Unterstützung zahlreicher Partner vor Ort die Ereignisse vor 100 Jahren an 47 Bahnhöfen in ganz Deutschland nach. Am Montag war Station in Weimar. Schauspieler Ronald Mernitz spielte die Situation wie vor 100 Jahren authentisch erlebbar für die anwesenden Schüler und Bahnhofsgäste nach. Die Revolution setzte eine ganze Reihe von demokratischen und sozialen Errungenschaften durch, die für uns heute selbstverständlich sind. Zum Beispiel die Weimarer Reichsverfassung, kurz WRV, die am 31. Juli 1919 in Weimar beschlossen wurde. Mit ihr wurde das Deutsche Reich zu einer föderativen Republik mit einem gemischt präsidialen und parlamentarischen Regierungssystem. Die Weimarer Republik gilt als ein Lehrstück für die Gefährdung und Selbstgefährdung der Freiheit. Jüngste Entwicklungen in unserer Demokratie scheinen an Zustände während der Weimarer Republik immer mehr zu erinnern. Die klugen Worte von Georg Wilhelm Friedrich Hegel sollten uns eine Warnung sein: »Aus der Geschichte der Völker können wir lernen, das die Völker aus der Geschichte nichts gelernt haben.«
Veröffentlicht in der jungen Welt am 09.11.2018.