Leserbrief zum Artikel Bestrafen der Armen: Mit Hartz IV brechen
vom 27.04.2018:
Wenig glaubwürdig
Es rührt einen, wenn man, wie oft in dieser Zeitung zu lesen, von den Forderungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zur Verbesserung der sozialen Lage von Hartz-IV-Empfängern und prekär Beschäftigten erfährt. Nun hatte ich eine Zeitlang beim Paritätischen im Fahrdienst gearbeitet. Nicht weil der Kreisverband etwa Fahrer mit Hochschulabschluss gesucht hätte, war der Grund, sondern die Tatsache, dass das von der »Partei der Kümmerer« (Weil) geschaffene und gepriesene Arbeitsmarktregime Menschen zwingt, ihre Arbeitskraft billig zu verkaufen. Am Ende meiner Tätigkeit war ich jedoch enttäuscht. Nach zwei befristeten Verlängerungen verlangte der Arbeitgeber von mir nicht nur, eine erhebliche Arbeitszeitreduzierung in Kauf zu nehmen, sondern diese auch noch selbst zu beantragen. Zu diesem Zweck legte mir die Personalabteilung einen in meinem Namen verfassten schriftlichen Antrag zur Unterschrift vor. Als ich mich beschwerte, wurde mein Vertrag nicht mehr verlängert. Auch musste ich feststellen, dass man mich um einen beträchtlichen Teil meines Urlaubsgeldes geprellt hatte. Das Arbeitsgerichtsverfahren, bei dem ich mich nun groteskerweise einer großen und auch international agierenden Anwaltskanzlei gegenübersah, endete mit einem Vergleich, zumal ich inzwischen eine neue Arbeit gefunden hatte. Nach meinem Eindruck mangelte es der damaligen Geschäftsleitung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes an sozialer Kompetenz, an Anstand und an Achtung gegenüber Mitarbeitern: eine unfähige Geschäftsleitung, die die prekären Beschäftigungsinstrumente schamlos für sich ausnutzte. Ersetzt wurde meine Stelle durch den Bundesfreiwilligendienst (BFD), der, wie ich annehme, unter Missachtung des Neutralitätsgebots des BFD in diesem Verband reguläre Arbeit verrichtet. So bin ich der Meinung, dass der Paritätische Wohlfahrtsverband sich ehrlich machen sollte. Als Arbeitgeber ist er nicht sozialer als so manch anderer Arbeitgeber. Unter Gewerkschaftern gilt er als schwarzes Schaf. Sehr viele seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind befristet beschäftigt. Und wenn Herr Schneider vollmundig einen konsequenten Paradigmenwechsel fordert, dann sollte der Paritätische doch wohl auch im eigenen Verband deutlich und sichtbar darauf hinwirken, die prekäre Beschäftigung abzubauen und den Stundenlohn auf die von ihm geforderten über elf Euro zu erhöhen!
Veröffentlicht in der jungen Welt am 14.05.2018.