Leserbrief zum Artikel Erwerbslosigkeit: Hartz und heiße Luft
vom 16.04.2018:
Einseitige Berichterstattung?
Wir sind langjährige Abonnenten der jungen Welt und schätzen den alternativen Blick auf das Zeitgeschehen, den man in anderen Medien selten findet. Nicht immer sind wir mit Ihren Darstellungen einverstanden, empfinden dies aber als durchaus normal und logisch. Denn guter Journalismus heißt ja auch, dass Meinungen widergespiegelt werden, die Facetten aufbieten.
Wir erwarten – und lesen aus Ihren Artikeln, dass Sie dies ebenso sehen – daher von Journalisten, dass sie recherchieren und möglichst ausgewogen berichten; gegebenenfalls auch in einem Sinn, der nicht unbedingt und unmittelbar den persönlichen Interessen entspricht. Daher stören uns in letzter Zeit die Berichte von Frau Bonath über die »Machenschaften« bundesdeutscher Jobcenter immer mehr. (…)
Ich bin seit nunmehr sieben Jahren bei Bildungsträgern beschäftigt, helfe Erwerbslosen, einen Job zu finden – die Art Tätigkeit, die die Agenturen und Jobcenter »outgesourct« haben. Ich wehre mich vehement gegen eine Darstellung, wie sie zunehmend in den Medien Raum greift – und auch von Frau Bonath und damit der jungen Welt übernommen wird –, dass diese Maßnahmen reine Schikane seien und nur der Gewinnmaximierung gieriger Bildungsunternehmen dienten und die Statistiken schönen. So angebracht Kritik in Einzelfällen und allen eben aufgezählten Punkten (und sicher einigen mehr) ist, sowenig sollte sie pauschalisiert werden. Diesen Eindruck erweckt aber die Berichterstattung Frau Bonaths bei uns.
Da ist von wahllosen Kürzungen die Rede, z. B. »nur wegen eines Terminversäumnisses«. Aus meinen Erfahrungen mit den Jobcentern Dresden, Meißen und Riesa der vergangenen Jahre weiß ich, dass eine derart unreflektierte Praxis, wie sie uns aus Frau Bonaths Artikeln entgegenspringt, nicht der Realität entspricht. Gerade aktuell hatte ich mehrere Fälle von Teilnehmern, die krankheitsbedingt häufig fehlten. Eine Sanktionierung stand da nie zur Debatte, eher eine Kommunikation über Möglichkeiten, den Teilnehmern ihren persönlichen Weg zu gewähren. Vermittler sind nicht nur Menschen, die auch Opfer von Systemen sind, sondern durchaus Menschen, die andere voranbringen wollen. Dies setzt aber deren grundsätzliche Bereitschaft dazu voraus. Abgesehen von Menschen, die aufgrund ihres Alters oder wegen Krankheiten tatsächlich keine adäquate Beschäftigung mehr werden finden können (und für die es eine andere Lösung als Hartz IV geben muss), erwarten wir von allen anderen, die das Solidarsystem in Anspruch nehmen, dass sie es nur solange tun, wie sie es tatsächlich brauchen und sich nicht darin einrichten. Wir kennen aus dem persönlichen Umfeld genügend Menschen, die sich über Arbeitende lustig machen, während sie selbst reguläre Tätigkeiten ablehnen – möglicherweise »schwarz« arbeiten.
Darüber hinaus hat meine Arbeit in den letzten Jahren einigen Menschen zu einer Tätigkeit verholfen, soweit ich dies verfolgen konnte zum Teil über mehrere Jahre. »Maßnahmen« sind also nicht per se sinnfrei. Sie können Menschen Hilfe bieten, wenn sie sie brauchen und annehmen.
Wir erwarten von einer Tageszeitung wie der jungen Welt eine ausgewogene Berichterstattung, die »Schwarzweißmalerei« keinen Vorschub leistet.
Auch wir stehen dem System Hartz IV kritisch gegenüber. Dennoch ist es für uns Bestandteil eines Solidarsystems. Das bedeutet, dass es eine Hilfe für Notfälle darstellt: Wenn ich in einer Notlage bin und andere Menschen mir helfen, kann ich Gegenleistungen liefern, die zu liefern ich imstande bin, zum Beispiel zu vorab angekündigten Terminen in einem Amt zu erscheinen – oder einen Anruf zu tätigen, wenn ich verhindert bin. Die andere Seite des Solidarsystems tut dies täglich – indem sie Arbeitsverträge erfüllt und ihr Leben danach ausrichtet, genau dieses Solidarsystem zu ermöglichen. Bin ich nicht gewillt, mich diesem System zu »unterwerfen«, muss ich auch die Konsequenzen tragen. Das kann ich in Anhörungen den zuständigen Mitarbeitern von Agentur und Jobcenter erläutern. Oder auf Teilhabe an diesem System verzichten – auch einen solchen Fall habe ich bereits erlebt.
Eine ausgewogene Berichterstattung wäre demnach eine, die auch mit einbezieht, dass es durchaus Menschen gibt, die dieses System ausnutzen. Mir sind viele Vermittler begegnet, die auch der Sanktionierung kritisch gegenüberstehen und lieber auf Dialog mit den betroffenen Menschen und/oder Bildungsträgern bauen. (…)
Schade, denn durch diese Art des Berichtens erweckt die junge Welt bisweilen den Eindruck einer linken Bild – reißerisch und unreflektiert. Stellen Sie Sanktionierte nicht immer nur als Opfer dar, die keine Fehler gemacht haben – unsere Erfahrung ist, dass dies nur in wenigen Fällen tatsächlich zutrifft. Dafür braucht es aber Journalisten, die eine solche Sichtweise grundsätzlich zulassen.
Wir erwarten – und lesen aus Ihren Artikeln, dass Sie dies ebenso sehen – daher von Journalisten, dass sie recherchieren und möglichst ausgewogen berichten; gegebenenfalls auch in einem Sinn, der nicht unbedingt und unmittelbar den persönlichen Interessen entspricht. Daher stören uns in letzter Zeit die Berichte von Frau Bonath über die »Machenschaften« bundesdeutscher Jobcenter immer mehr. (…)
Ich bin seit nunmehr sieben Jahren bei Bildungsträgern beschäftigt, helfe Erwerbslosen, einen Job zu finden – die Art Tätigkeit, die die Agenturen und Jobcenter »outgesourct« haben. Ich wehre mich vehement gegen eine Darstellung, wie sie zunehmend in den Medien Raum greift – und auch von Frau Bonath und damit der jungen Welt übernommen wird –, dass diese Maßnahmen reine Schikane seien und nur der Gewinnmaximierung gieriger Bildungsunternehmen dienten und die Statistiken schönen. So angebracht Kritik in Einzelfällen und allen eben aufgezählten Punkten (und sicher einigen mehr) ist, sowenig sollte sie pauschalisiert werden. Diesen Eindruck erweckt aber die Berichterstattung Frau Bonaths bei uns.
Da ist von wahllosen Kürzungen die Rede, z. B. »nur wegen eines Terminversäumnisses«. Aus meinen Erfahrungen mit den Jobcentern Dresden, Meißen und Riesa der vergangenen Jahre weiß ich, dass eine derart unreflektierte Praxis, wie sie uns aus Frau Bonaths Artikeln entgegenspringt, nicht der Realität entspricht. Gerade aktuell hatte ich mehrere Fälle von Teilnehmern, die krankheitsbedingt häufig fehlten. Eine Sanktionierung stand da nie zur Debatte, eher eine Kommunikation über Möglichkeiten, den Teilnehmern ihren persönlichen Weg zu gewähren. Vermittler sind nicht nur Menschen, die auch Opfer von Systemen sind, sondern durchaus Menschen, die andere voranbringen wollen. Dies setzt aber deren grundsätzliche Bereitschaft dazu voraus. Abgesehen von Menschen, die aufgrund ihres Alters oder wegen Krankheiten tatsächlich keine adäquate Beschäftigung mehr werden finden können (und für die es eine andere Lösung als Hartz IV geben muss), erwarten wir von allen anderen, die das Solidarsystem in Anspruch nehmen, dass sie es nur solange tun, wie sie es tatsächlich brauchen und sich nicht darin einrichten. Wir kennen aus dem persönlichen Umfeld genügend Menschen, die sich über Arbeitende lustig machen, während sie selbst reguläre Tätigkeiten ablehnen – möglicherweise »schwarz« arbeiten.
Darüber hinaus hat meine Arbeit in den letzten Jahren einigen Menschen zu einer Tätigkeit verholfen, soweit ich dies verfolgen konnte zum Teil über mehrere Jahre. »Maßnahmen« sind also nicht per se sinnfrei. Sie können Menschen Hilfe bieten, wenn sie sie brauchen und annehmen.
Wir erwarten von einer Tageszeitung wie der jungen Welt eine ausgewogene Berichterstattung, die »Schwarzweißmalerei« keinen Vorschub leistet.
Auch wir stehen dem System Hartz IV kritisch gegenüber. Dennoch ist es für uns Bestandteil eines Solidarsystems. Das bedeutet, dass es eine Hilfe für Notfälle darstellt: Wenn ich in einer Notlage bin und andere Menschen mir helfen, kann ich Gegenleistungen liefern, die zu liefern ich imstande bin, zum Beispiel zu vorab angekündigten Terminen in einem Amt zu erscheinen – oder einen Anruf zu tätigen, wenn ich verhindert bin. Die andere Seite des Solidarsystems tut dies täglich – indem sie Arbeitsverträge erfüllt und ihr Leben danach ausrichtet, genau dieses Solidarsystem zu ermöglichen. Bin ich nicht gewillt, mich diesem System zu »unterwerfen«, muss ich auch die Konsequenzen tragen. Das kann ich in Anhörungen den zuständigen Mitarbeitern von Agentur und Jobcenter erläutern. Oder auf Teilhabe an diesem System verzichten – auch einen solchen Fall habe ich bereits erlebt.
Eine ausgewogene Berichterstattung wäre demnach eine, die auch mit einbezieht, dass es durchaus Menschen gibt, die dieses System ausnutzen. Mir sind viele Vermittler begegnet, die auch der Sanktionierung kritisch gegenüberstehen und lieber auf Dialog mit den betroffenen Menschen und/oder Bildungsträgern bauen. (…)
Schade, denn durch diese Art des Berichtens erweckt die junge Welt bisweilen den Eindruck einer linken Bild – reißerisch und unreflektiert. Stellen Sie Sanktionierte nicht immer nur als Opfer dar, die keine Fehler gemacht haben – unsere Erfahrung ist, dass dies nur in wenigen Fällen tatsächlich zutrifft. Dafür braucht es aber Journalisten, die eine solche Sichtweise grundsätzlich zulassen.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 17.04.2018.