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Leserbrief zum Artikel Monopolmacht: Diktat vom Chef vom 12.01.2018:

Ära des Nichtstuns

Viele Zeitgenossen werden die medienwirksamen Bilder noch vor Augen haben: Angela Merkel steht in einem roten Anorak auf der Bugspitze eines Schiffes und scheint die vor ihr liegenden Grönland-Gletscher zu beschwören, doch nicht zu schmelzen …
Umweltaktivisten und Atmosphärenforscher erkannten das Klimaproblem des Blauen Planeten spätestens Mitte der 80er Jahre. Solange hätte man folglich bereits Klimaschutz betreiben können. 1993 erschien Al Gores Buch »Wege zum Gleichgewicht« mit dem eindringlichen Aufruf an die gesamte Menschheit, sofort mit wirksamem Klimaschutz zu beginnen.
Aber was tatsächlich begann, war eine langwierige Debatte des Zweifels am vom Menschen verursachten Klimawandel. Getragen von zumeist durchsichtigen »Experten«, die überdeutlich als Wirtschaftslobbyisten in Erscheinung traten. Aufgeschreckt waren insbesondere die Ölindustrie, die Kohlebranche und der Sektor Transport und Tourismus. Die Autokonzerne kamen später hinzu. Diese Zweifel-Debatte zog sich mindestens bis 2005 hin.
Dann begannen die Welt-Klima-Konferenzen. Eine immer größer werdende Zahl von Delegierten aus 200 Staaten fand sich periodisch an wechselnden Orten auf dem Globus zusammen. Die Mehrheit dieser Tausenden von Delegierten muss bis 2015 als Verhinderer wirksamer Klimaschutzmaßnahmen eingestuft werden. Angesichts der An- und Abreise Zehntausender Delegierter per Flugzeug wurden diese ausufernden Welt-Klima-Konferenzen selbst zu einem Klimaproblem.
Dabei häuften sich in diesem Jahrzehnt bereits extreme Wetterereignisse, eindringliche UNO-Klimaberichte und dramatische Hilferufe bedrohter Insel- bzw. Küstenvölker. Aber es geschah nichts.
Mit äußerster Mühe wurde das Kyoto-Protokoll vom Pariser Klimaabkommen 2016 abgelöst. Aber auch das enthält nur Ankündigungen und Versprechungen.
Hierzulande verkündete Kanzlerin Merkel hochgesteckt wirkende nationale Klimaschutzziele und gleich noch eine Vorreiterrolle innerhalb der EU. Dabei bedeutete die 40prozentige Reduktion des Ausstoßes von Klimagasen zwischen 1990 und 2020 schlichtweg eine Mogelpackung. Denn seriös wäre ein Bezugspunkt in 1991 oder 1992 gewesen. Die nationale Klimabilanz von 1990 enthielt noch den Klimagasausstoß der gesamten DDR-Industrie, die es 1992 dann nicht mehr gab.
Was dann national geschah, erschien paradox: Offenbar erwarteten viele Menschen alsbald wirksame Klimaschutzmaßnahmen. Aber bis dahin wollten sie noch intensiv sündigen. Unter anderem durch den Kauf schwerer Geländewagen als Familienkutsche und von unzähligen Billigflugtickets. Somit erwuchs aus einer permanent wachsenden Notwendigkeit von Klimaschutz in der Ära des Nichtstuns von Kanzlerin Merkel das genaue Gegenteil: unnötig noch weiter ansteigende Emissionen von Treibhausgasen.
Und da für unsere Berufspolitiker die Chancen ihrer Wiederwahl offenbar gegenüber dem Schutz der Lebensgrundlagen der Menschheit Priorität besitzen, wurde nun einfach aufgegeben, was seit 2005 verbal so intensiv beschworen wurde. Einfach unfassbar, wie man sich selbst so völlig in Frage stellen kann. Die Ära Merkel sollte umgehend enden.
Dr. Bernd-R. Paulke
Veröffentlicht in der jungen Welt am 13.01.2018.