Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 06.01.2016, Seite 3 / Schwerpunkt

Marxistische Möhrenfresser

Lange war es nicht so einfach, ein Staatsfeind zu sein, wie derzeit in Polen. Außenminister Witold Waszczykowski hat in einem Interview mit dem deutschen Boulevardblatt Bild am Montag den Gegner markiert: Über die letzten Jahre sei Polen einem »marxistischen Entwicklungsschema« gefolgt. Die Vorgängerregierung – wohlgemerkt, die der Europäischen Volkspartei angehörende Bürgerplattform (PO) – habe versucht, das Land in eine »Mischung der Rassen und Kulturen« sowie eine »Diktatur der Radfahrer, Vegetarier und Nutzer erneuerbarer Energien« zu verwandeln. Seine Regierung hingegen stehe für ein Polen traditioneller Werte zwischen Gaspedal, Brikett und Kotelett: Vaterlandsliebe, Religiosität sowie »normales Familienleben« von Mann und Frau. Fahren diese Familien vielleicht nicht Fahrrad? Selten so gelacht.

Es gibt eine Menge schräger Figuren in der neuen polnischen Regierungsmannschaft. Oder ist das schon zuviel der Ehre, und sie sind einfach nur blöd? Witold Waszczykowski attackiert genau jene Elemente, durch die die bürgerliche Herrschaft sich in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich modernisiert und manch kritisches Potential zu lebensreformerischen Haltungen individualisiert und so integriert hat. Er hat seine Äußerungen in polnischen Medien damit relativiert, dass er sich dem Publikum der Bild habe anpassen müssen. Ob er dessen Befindlichkeit getroffen hat, kann man bezweifeln. Dass sich jetzt Radtouristen überlegen müssen, ob sie in Polen noch willkommen sind, ist schade, denn Pommern, die Kaschubei oder Masuren werden nicht hässlicher davon, dass in Warschau die PiS regiert.

Politisch sind die Dummheiten des Ministers dagegen eine gute Nachricht. Die PiS wiederholt den Fehler der Adenauer-BRD, mit einer Atmosphäre miefiger kultureller Reaktion auch Leute auszugrenzen, die bisher weit davon entfernt waren, ihre privaten Neigungen politisch zu verstehen. Das verschafft der Partei Gegner, die sie sich nicht hat träumen lassen. Es entfremdet ihr genau jene jungen Leute, die ihr im Oktober zum Wahlsieg verholfen haben. (rl)

Mehr aus: Schwerpunkt