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Leserbrief zum Artikel Undogmatisch Gendern: Undogmatische Lösungen vom 31.07.2020:

Lesbar bleiben

Daniela Dahn hat in einem ihrer Bücher geschrieben, die Gleichberechtigung sei von der praktischen Frage in die Grammatik gerutscht. Und da ist sie jetzt und entfacht eine, zumal in Deutschland, akademisch abgehobene Diskussion, deren Vorteil es sein mag, dass Heerscharen von Sprachrichtern und Sprachrichterinnen alle Texte, zumal die amtlichen und offiziellen, durchkämmen, um »Zeichen zu setzen«, und damit in Lohn und Brot gelangten. Diese Mätzchen mit »*, _, /, I, :« usw. sind für mich abgehoben und lachhaft, weil sie nicht nur nichts verändern, sondern die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts entgegen der verkündeten Absicht fortsetzen: In allen Fällen bedeutet dieser Stern- und Zeichensalat, dass die weibliche Endung an die männliche (etwa die Grundform?) angekoppelt und so zum weiblichen Anhänger an das männliche Führungsfahrzeug wird. Rhetorisch sei gefragt, wenn wir schon bei m/w sind, was machen wir denn nun mit dem üblich gewordenen »d« in den Stellenanzeigen? Wie kennzeichnen wir die Diversen in unseren Texten? Könnte dafür nicht ein akademischer Lehrstuhl installiert werden?
Wohin geht das ganze Geschrei und warum? Es ist verpönt, wenn nicht gar unzulässig, im Kollegenkreis die Höhe eines Gehalts zu offenbaren, religiöse Ansichten darf ich verschweigen, politische ggf. besser auch. Aber um Fragen individueller sexueller Orientierung hebt überall ein Tamtam an, und ein jeder darf dort sein unmaßgebliches Urteil in die Welt pusten, geschlechtliche Orientierungen ausgraben und unbedingt dafür ein Symbol in einen Text einbringen, der zwei Zeilen überschreitet.
Oder bleiben wir einfach auf den Teppich bzw. kehren auf ihn zurück. Vor vielen Jahren hat Gregor Gysi zu diesem geschlechtlichen Kennzeichnungsunsinn sinngemäß gesagt, wer zu faul oder nicht in der Lage ist, einfach Lehrerinnen und Lehrer zu sagen, sollte einfach schweigen. Nehmen wir uns die Zeit, schreiben Leserinnen und Leser. Das sind die Frauen wert.
Apropos »Lehrer*_/I : innen«: Meine alte Physiklehrerin meinte einmal, indem sie auf ihre Arbeit im »Unrechtsstaat« verwies, dass sie ruhig auch mal sagen konnte, sie sei Lehrer, ohne Entrüstungsstürme auszulösen. Wichtiger sei für sie gewesen, dass sie das gleiche Gehalt wie ihr Kollege bekommen habe.
Zu guter Letzt: Einen Dank an die junge Welt dafür, dass sie sich von dem aufgeregten und aufgesetzten Brimborium nicht anstecken ließ und dadurch lesbar blieb.
Wolfgang Kroschel, Cottbus
Veröffentlicht in der jungen Welt am 04.08.2020.
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