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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Wolfram Adolphi: »Merkel sagte kein einziges Mal ›Auschwitz‹ oder ›IG Farben‹« vom 25.01.2020:

Tatsachen verdreht

(...) Das Interview mit Wolfram Adolphi kann doch so nicht stehenbleiben. Ich zitiere mal:
»Es gab eine beachtliche Zustimmung für SPD und KPD noch im Herbst 1932. Aber wie waren die tatsächlichen Kräfteverhältnisse insgesamt? Hitler ist aus einem demokratischen System gekommen mit beachtlichem Wahlerfolg und fundamentaler Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft.« Und weiter unten: »Wir hörten heute Sätze wie: ›Wer ordentlich lernt, wird den Populismus durchschauen.‹ Ich halte davon nichts.«
Tatsache ist aber, dass die Nazis am 5. November 1932 eine relative Niederlage erlitten, mit umfangreichen Stimmenverlusten! Sie hatten weniger Mandate im Reichstag als SPD und KPD zusammen. (Aber immer noch viel zu viele.) Doch diese Rechnung stimmt eben nur rechnerisch – es gab keine »Volksfront«. Von Januar 1919 bis Mai 1929 reicht die Blutschuld der rechten Sozialdemokratie, weshalb die KPD sie als »Sozialfaschisten« bekämpfen zu müssen glaubte! Und für »Sowjetdeutschland« stritt. Umgekehrt interessierte z. B. Rudolf Breitscheid vor allem, wieso die KPD 100 Mandate erhalten konnte – die Nazis, das sehe man ja, würden bald wieder in der Wählergunst absinken oder eben »abwirtschaften« ...
Dann lieferte (ausgerechnet) die KPD die Steilvorlage für Hindenburg und Hitler durch den Misstrauensantrag gegen die amtierende Papen-Regierung, für den auch die Nazis stimmten – und Hindenburg löste den Reichstag auf! Und ließ nach einer dringenden Bitte der – nein, des »arischen Teils« der – deutschen Banker und Industriellen eine parlamentarisch gar nicht legitimierte Regierung Hitler/Hugenberg bilden. Sie hätte »nur« 42 Prozent aller Stimmen im aufgelösten Reichstag gehabt. Und die Nazis hatten »nur« den Reichskanzler und den Innenminister, alle anderen Minister waren Deutschnationale, also Monarchisten oder Junker-Vertreter. Aber es war der Einstieg in Krieg und Sozialabbau, Entrechtung des Volkes und – nach dem »Sündenbockprinzip« – Judenverfolgung und -ausrottung. Die »Büchse der Pandora« war geöffnet worden ...
Ein Generalstreik gegen diese Regierung – schon erkennbar – des Krieges und des Sozialabbaus fand bekanntlich nur in einem einzigen kleinen Ort im heutigen Baden-Württemberg statt – in Mössingen. Ganz anders als beim (substantiell doch eigentlich ähnlichen) Kapp-Putsch! ADGB, RGO und andere Verbände versagten völlig!
(Die Strafen waren übrigens – nach der Reichstagsbrand-Provokation und dem Ausnahmezustand durch die »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat« sowie das Ermächtigungsgesetz – für die Mössinger Streikteilnehmer drakonisch. An diese einsame Aktion erinnert heute eine Gedenktafel an der »Langgass-Turnhalle« von Mössingen, sonst erinnert kaum etwas oder jemand daran ...)
Klar ist, dass Hindenburg eine Annäherung von KPD und SPD hin zu einer »Volksfrontregierung« eventuell auch mit Zentrumsleuten (heute CDU) nicht hingenommen hätte – Instrument wäre dann wieder, wie schon unter Ebert 1923 gegen die »Arbeiterregierungen« in Sachsen und Thüringen, der Artikel 48 der Weimarer Verfassung gewesen. Doch es wäre den Versuch wert gewesen.
Die Reichswehr hätte auch direkt putschen können, eventuell unter dem greisen Generalfeldmarschall selbst – aber da war der Ablauf beim Kapp-Putsch ja ein Menetekel.
Den deutschen Juden und den Millionen Juden Europas hätte das aber vielleicht das Leben gerettet.
Zurück zum 5. November 1932. Der zeigte m. E. durchaus eine gewisse »Lernfähigkeit« oder, wenn man so will, »Ekelfähigkeit« der Deutschen; denn der blutige Naziterror trug m. E. wesentlich zu den Nazi-Stimmverlusten bei. Zu einer weitverbreiteten antifaschistischen Stimmung, wenn man so will. Wieso sagt Adolphi da: »Ich halte davon nichts.« Zeit gewinnen für das Zur-Besinnung-Kommen der Protestwähler, die »gegen das ganze System« stimmen bzw. stimmen wollen, aber kaum sehen, was sie damit anrichten, ist doch alles! Immer!
Das ist gerade heute nicht anders!
Was wäre denn heute die Alternative bei einer »Machtübertragung« an die AfD? Ein Einmarsch der Alliierten? Die NATO konnte immer gut leben mit der Salazar-Diktatur und kann es heute mit Orbans »autoritärer« Herrrschaft in Ungarn. Und die USA konnten sogar mit dem Massenmörder Franco als »Caudillo« von Spanien, wenn es um Stützpunkte gegen die UdSSR ging!
(Deswegen muss übrigens auch weiter gelten: »USA/NATO raus aus Deutschland – Deutschland raus aus der USA-NATO! Und die Bundeswehr entsprechend Artikel 87 a GG in Verbindung mit Art. 26 auf die pure Landesverteidigung reduzieren!« Dann kommen wir auch mit einem oder einem halben Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus, also der Hälfte oder einem Viertel der nun angestrebten Aufrüstungskosten.)
Ein Putsch der ganz offenbar von Rechten durchsetzten Bundeswehr?
Ein Generalstreik? Das würde, in »bester Tradition« von 1932/33, die DGB-Spitze wohl ablehnen. Hitler sei legal »aus einem demokratischen System« an die Macht gekommen – so ähnlich drückt sich ja auch Wolfram aus, und du widersprichst ihm da nicht ...
Ein Aufstand aller Antirassisten und Antiimperialisten – wie denn, womit denn?
Am aussichtsreichsten ist die Bearbeitung der Haltung des DGB – es muss klar sein bzw. erreicht werden, dass eine Regierung unter Führung oder mit Beteiligung der AfD zu einem politischen Generalstreik führt!
Umgekehrt wird wohl erst dann, wenn die rechte »Reservearmee« des Großkapitals wieder an Zulauf und Zustimmung verliert, so wie Ende 1932, ein Teil der »deutschen Wirtschaft« auf eine AfD-Regierungsbeteiligung drängen. (Auch 1932 ekelten sich viele Bürger bzw. Kapitalvertreter – aber es musste nun sein ...)
Darauf muss sich m. E. die gesamte Linke vorbereiten! (...)
Der Aufstieg von »Arturo Ui« alias Bernd/Björn Höcke ist aufhaltsam! Darüber müssen wir uns einig sein oder werden! Was anderes kann und darf die jW nicht verbreiten!
Volker Wirth, Berlin
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