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Leserbrief zum Artikel Kontinuitäten in der jungen BRD: Erste LKA-Chefs waren Naziverbrecher vom 18.12.2019:

Naziverseuchte Fundamente

Dem Landesinnenminister von NRW Herbert Reul muss ich widersprechen: Diese Naziverbrecher hätten auch vor über einem halben Jahrhundert keine LKA-Chefs werden dürfen. Damals wurden die Fundamente der Bundesrepublik gelegt; mit jenen unverzeihlichen Personalentscheidungen wurde sie aber auch naziverseucht. Diese katastrophalen Entscheidungen in Polizei, Geheimdiensten, Armee, Justiz und Verwaltung der damals größeren zweiten deutschen Republik wirkten leider lange genug nach. Und wenn mich alle Erfahrungen der jüngeren deutschen Geschichte nicht täuschen sollten, existieren noch gefährliche Rudimente des Versagens zwischen Kiel und München in den 1950er und 1960er in Geist und Gesellschaft. Da hat das Land meiner ersten Lebenshälfte mit der barbarischen Nazigeschichte aber ganz anders aufgeräumt, Gott sei Dank! Trotzdem kam es in der DDR gelegentlich auch vor, dass für einen Polizeioffizier oder anderen Staatsangestellten, der seine Vergangenheit stark retuschiert hatte, sogar wegen Kriegsverbrechen während der Nazizeit die Handschellen klickten. Ein Beispiel: Das zuständige Ermittlungsorgan in der DDR inhaftierte Karl S. im Jahre 1970 in meiner Südthüringer Heimat, damals Bezirk Suhl. Der Festgenommene war Offizier im Volkspolizeikreisamt (VPKA) einer Kreisstadt (Kreisstadt und VPKA sind mir bekannt, d. V.) im Bezirk Suhl und kam mit Haftbefehl am 23. November 1970 in die Untersuchungshaftanstalt bei der Bezirksverwaltung Suhl des MfS, das für diese Nazi- und Kriegsverbrechen entsprechend der Strafprozessordnung der DDR zuständig war. Der Verdächtige S. war seit April 1937 Polizeiwachtmeister in Weimar und Jena zur Bewachung von KZ-Häftlingen aus Buchenwald auf einer Baustelle eingesetzt. 1942 beteiligte er sich als Angehöriger des Feldgendarmeriebatallions 415 an der Liquidierung des Alters- und Invalidenheimes im besetzten Krutiza. Die Bewohner wurden vertrieben, erschossen und verbrannten. Zwei alte Männer wurden verdächtigt, Kundschafter der Partisanen zu sein, und wurden ebenfalls erschossen. Sperl schlich sich nach 1945 in die Deutsche Volkspolizei ein. Als Diensthabender (OdH) seines VPKA konnte er ein Fernschreiben, in dem seine Person zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben war, manipulieren und verhinderte so zunächst sogar seine Enttarnung und verzögerte seine Verhaftung. Das Bezirksgericht Suhl in Meiningen verurteilte ihn am 21. Mai 1973 wegen Kriegsverbrechen zu zwölf Jahren Haft. Da erging es LKA-Chefs und vielen anderen Staatsdienern in der BRD bis hin zu Ministern doch wirklich ganz anders!
Rainer Döhrer, Barchfeld/Werra
Veröffentlicht in der jungen Welt am 31.12.2019.