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Leserbrief zum Artikel Brasilien: Lasst Lula frei! vom 12.06.2019:

Armes Brasilien

Ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen kommt Jair Bolsonaro in Prognosen auf gerade einmal vier Prozent der Wählerstimmen. Erst durch die Unterstützung der radikalen Kräfte wird er Präsident: die Evangelikalen (zu denen er zwei Jahre vor seiner Wahl konvertiert ist), das Militär (dem er seine Offizierskarriere verdankt) und die Großgrundbesitzer (zu denen er bald zählen wird) – Brasiliens drei große Mächte. Wer steckt dahinter? Und wie weit werden die neuen Mächtigen gehen?
»Gesegnetes Volk von Brasilien! Wählt Jair Messias Bolsonaro zum Präsidenten«, wirbt der einflussreichste Prediger Brasiliens, Silas Malafaia, »als Soldat hat er es gelernt, unser Land zu lieben. Das ist das Wichtigste am Militarismus: die Menschen zu lehren, ihre Heimat zu lieben! Mein Vater war Marineoffizier, von ihm lernte ich Vaterlandsliebe. Bolsonaro will Brasilien verbessern.«
Einen Monat vor der Präsidentschaftswahl attackiert ein Mann Bolsonaro mit einem Messer. Er wird angeblich schwer verletzt und will nicht mehr öffentlich sprechen. Dies ist der Wendepunkt im Wahlkampf. Silas Malafaia besucht ihn im Krankenhaus und beschwört Bolsonaro vor laufender Fernsehkamera: »Gott segne dich, mein Freund. Möge Er dich heilen und helfen, das alles durchzustehen!« Bolsonaro antwortet: »Danke für deine Gebete und dein Vertrauen. Es ist unser aller Mission.«
Die konservativste evangelikale Kirche des Landes heißt »Versammlung Gottes« und zählt zwölf Millionen Gläubige. 48 Stunden nach Bolsonaros Wahlsieg hat er seinen ersten öffentlichen Auftritt dort, im Norden Rio de Janeiros, wo Silas Malafeia die jubelnde Menge auf sein Erscheinen einstimmt: »Jair … Messias … Bolsonaro, der neue Präsident von Brasilien! Das ist eine Prophezeihung. Ich erteile dem neuen brasilianischen Präsidenten das Wort.« 73 Prozent der Evangelikalen haben ihn gewählt. Er ist für sie der Erlöser, der ihre Werte teilt. Bolsonaro spricht: »Ich danke Gott für diese Mission. Brasilien steckt in einer komplizierten Situation, in einer ethischen, moralischen und wirtschaftlichen Krise. Ich bin sicher nicht der Kompetenteste, aber Gott befähigt seine Auserwählten!« Malafaia ruft aus: »Im Namen Jesu erkläre ich, dass Brasilien unserem Herrn Jesus Christus gehört! Brasilien … gehört … Jesus Christus! Bolsonaro, wir alle sind uns einig, dass du der Beste bist und dass du die Geschichte unserer Nation verändern wirst! Im Namen Jesu! Amen!«
Nachdem er zum Präsidenten gewählt ist, sagt Bolsonaro in einer Pressekonferenz: »Die Evangelikalen sind nicht nur wichtig für mich, sondern für ganz Brasilien.« Reporter: »Und was geschieht mit den Nichtevangelikalen?« Bolsonaro: »Das ist kein Problem: Was wollen wir alle? Unsere Kinder sollen es besser haben als wir. Die Schule ist ein Ausbildungsort. Sie soll aber auch die Begriffe ›Staatsbürgerschaft‹ und ›Patriotismus‹ vermitteln. Die Schule sollte keine Geschlechterideologien unterrichten oder Aktivisten ausbilden!« Reporterin: »Aber mehr als 65 Prozent der Bevölkerung sind arm. Werden Sie soziale Projekte weiterführen und neue schaffen, um Brasilianern zu helfen?« Bolsonaro: »Soziale Projekte sollten die Menschen nicht in einer Situation der Abhängigkeit halten, sondern aus der Armut befreien. Kein Brasilianer sollte vom Staat abhängig sein – die Party ist vorbei! Wir werden alles verändern. Ich danke Ihnen.« Er geht. Und verändert alles: Die Regenwälder werden nicht länger vor dem Zugriff der Großgrundbesitzer geschützt. Der evangelikale Oberprediger wird zu seinem entscheidenden Berater. Das Militär erhält soviel Einfluss wie nie seit der Militärdiktatur (1964–1985); die Hälfte der aktuellen Ministerien wird von hochrangigen Soldaten geführt. Bolsonaro setzt durch, dass es große Feierlichkeiten anlässlich des 55. Geburtstages der Diktatur geben wird. Dort singt man das Hohelied der Soldaten: »Ewiger Held, niemand hält dich auf im Kampf! Wir sind aus Stahl geschmiedet. Unser Motto ist: Brasilien über alles!« Das kommt mir bekannt vor.
Peter Richartz, Solingen
Veröffentlicht in der jungen Welt am 12.06.2019.
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