Leserbrief zum Artikel Nachruf: Wäre eine Vier nicht lieber eine Sieben?
vom 12.02.2019:
Unterschätzte Kinder
Nicht zum ersten Male ärgere ich mich darüber, welche Vorstellung von Kindern in jW vermittelt wird. (…) Jüngstes Beispiel ist der Artikel von Wiglaf Droste zum Tode von Tomi Ungerer. Zu Recht wird auf die Fähigkeit von Kindern verwiesen, Fragen zu stellen, die zum Nachdenken zwingen, worin sich die Kinder zunehmend von Erwachsenen unterscheiden. Doch im gleichen Atemzuge lobt der Autor den Schriftsteller, da dieser den Kindern die (richtigen?) Antworten liefert. Selber denken macht bekanntlich schlau, scheint aber für Kinder nur bedingt zu gelten. Die Rollenverteilung in Subjekt und Objekt erscheint unumstößlich: Das Subjekt Kind darf fragen, aber was die möglichen Antworten angeht, verharrt es in der Position des Objekts. Genau dieses Verständnis dominiert zunehmend unser sogenanntes Bildungswesen, in dem zunehmend Bildung und Ausbildung gleichgesetzt werden. Wer sich einmal der Mühe unterzogen hat, wie ich es seit mehr als 20 Jahren tue, mit Kindern zu philosophieren, weiß, zu welchen nicht selten beeindruckenden Antworten Kinder im Ergebnis eigener Denkbewegungen fähig sind – wenn man sie lässt!
Veröffentlicht in der jungen Welt am 02.03.2019.