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Leserbrief zum Artikel Landwirtschaft: Null Bock auf Gift und Gülle vom 19.01.2019:

Der größte Irrsinn

Die pauschale Förderung der sogenannten Landwirte nach Größe der bewirtschafteten Flächen ist der größte Irrsinn und gehört längst in die Mottenkiste. Weshalb sollten »Investoren« wie z. B. der Müllmilliardär Norbert Rethmann (Remondis), der – grob geschätzt – ca. 12.000–15.000 Hektar Ackerland in Mecklenburg-Vorpommern peu à peu erworben, auf ca. neun Einzelbetriebe mit Milchwirtschaft und Schweinemast und praktischerweise auch einen Tierkörperbeseitigungsbetrieb aufgeteilt hat, nach Beschäftigtenzahlen als »großer Arbeitgeber« gilt, jährlich mit zweistelligen Millionenbeträgen von der EU gefördert werden? Als Dank nutzt er die Synergieeffekte, die sich aus der Lage und Größe seiner Betriebe ergeben, um die Personalzahl möglichst niedrig zu halten. Dass durch diese u. ä. Konzentrationen aber deutlich weniger Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region entstanden sind, als es mit mittelständischen Betrieben der Fall wäre, haben offenbar weder die Funktionäre der Landwirtschaftsverbände noch die Fachpolitiker in Bund und Ländern begriffen. Auch die lokale Überproduktion in der Milchwirtschaft, in der Geflügel- und der Schweinemast wird so subventioniert. Während Gülle und Dung von Millionen Tieren im Lande bleiben und durch Überdüngung das Grundwasser mit Nitrat und die Luft mit Ammoniak belasten, werden die überschüssigen Fleischmengen exportiert und oft landwirtschaftliche Betriebe und Märkte in den Importländern dieser Waren ruiniert. Ob im Erzeugerland die Gewinne daraus ordentlich versteuert werden, darf nach den Berichten zu »Steueroptimierung« der Spezialisten von Pricewaterhouse Coopers, EY, KPMG und anderen nach den bekanntgewordenen Skandalen um Steueroasen in Panama, der Karibik oder auch in Europa, darunter neben Luxemburg und den Niederlanden auch Deutschland, sehr bezweifelt werden. Es ist längst an der Zeit, auf Förderung nach Umweltgesichtspunkten statt nach Flächengröße umzustellen. Damit bekämen Landwirte, die Garten-, Ackerbau und Nutztierhaltung unter strikter Anwendung biologischer Aspekte betreiben, sinnvolle finanzielle Unterstützung und somit Sicherheit, ohne dass die Umwelt durch den Einsatz von Pestiziden, Herbiziden und prophylaktischer Anwendung eines Zuviel an Tierarzneien geschädigt wird. Mit ziemlicher Sicherheit gäbe es bessere Bedingungen bei der Tierhaltung, z. B. der »Ferkelproduktion«, der Milchviehhaltung etc. bis hin zur Schlachtung der Tiere, die dann weniger oft in mittlerweile fast ausschließlich privatwirtschaftlich geführten Großschlachtbetrieben industriell und im Akkord erfolgte, nachdem die Tiere oft Hunderte Kilometer weit und unter großem Stress herangekarrt worden wären.
Ein Ärgernis ist auch, dass die in Bundesbesitz befindliche BVVG, eine der letzten übriggebliebenen Nachfolgegesellschaften der Treuhandanstalt, ihre Restbestände an land- und forstwirtschaftlichen Flächen meistbietend verhökern will. Dem muss der Bundesfinanzminister, in dessen Verantwortungsbereich die BVVG liegt, widersprechen und dafür Sorge tragen, dass nicht Finanzinvestoren die begehrte Ware Ackerland spekulativ aufkaufen, sondern kleine und mittlere, oft familiengeführte landwirtschaftliche Betriebe die Chance erhalten, solche Flächen zu marktgerechten Preisen zu erwerben, um ihre Marktchancen zu verbessern.
Man sollte aus dem bundesweiten Ausverkauf von Sozialwohnungen durch Städte, Länder und den Bund gelernt haben, dass die Politik nicht alles »den Märkten« überlassen darf, sondern regulierend einzugreifen hat. Denn »die Märkte« werden in erster Linie von Spekulanten dominiert, die die Preise hochtreiben, das Erworbene oft »filetieren«, um es dann mit höchstmöglichem Profit wieder zu veräußern.
Günter Steinke
Veröffentlicht in der jungen Welt am 31.01.2019.
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