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Leserbrief zum Artikel Bolsonaro gegen Haddad: Rechtsdrift in Brasilien vom 09.10.2018:

Brasilien verliert

Es gab eine Rechtsdrift beim ersten Wahlgang. Die Linke (PT, PSB und PCdB) konnten ihre Hochburgen behaupten. Die kleinere PSOL konnte ihre Hochburgen ausbauen.
Die Partei der Militärs, der Geheimdienste und der weitgehend aus den USA importierten evangelischen Kirchen konnte ihre Positionen speziell auch im größten und wichtigsten Bundesstaat São Paulo ausbauen. Brasilien ist gespalten zwischen der im Nordosten dominierenden Linken und den im Rest dominierenden konservativen Kräften.
Aber man kann auch den Zündstoff für neue Konflikte im konservativen Lager erkennen. Die Partei Bolsonaros legte Traumergebnisse vor, aber sie wird viele Kompromisse mit den anderen konservativen Parteien schließen müssen. Sie hat keine Bundesstaaten unter ihrer Kontrolle. Sie ist ein Riese ohne Beine! Die konservativen Konkurrenten werden viele Kompromisse einfordern, die dann auch finanziell untermauert werden müssen.
Die Grundprobleme (davon gibt es mehrere offene Wunden, vom Bildungs- und Gesundheitssektor über die Infrastrukturen, fehlendes wissenschaftlich-technisches Potential, dramatische Einkommensunterschiede, ineffektive Verwaltungsstrukturen, einen schwachen Binnenmarkt bis zu vielen anderen Dingen) werden von einem Präsidenten Bolsonaro nicht gelöst werden. Der Lack wird Stück für Stück abplatzen. Und die Gebete in den evangelischen Kirchen und die Beräucherung mit Telenovelas, schnellen Sprüchen in den Medien werden auch nicht die sozialen Probleme kitten. Es droht eine Situation, dass Brasilien sich immer mehr von der Weltspitze abkoppelt. Die Außenhandelsstruktur gleicht eher der eines afrikanischen Landes als der eines aufstrebenden asiatischen Tigers.
Haddad hat noch Chancen auf eine Präsidentschaft, aber wenn man es realistisch sieht, wird es sehr schwer für ihn, die Wahlen zu gewinnen. Die Medien sind auf der Gegenseite, und die PSDB – die eigentlich im Koma liegt – wird eher zu Bolsonaro überlaufen (Teile von ihr sind schon übergelaufen). Die MDB bezahlt einen sehr hohen Preis für ihre Korruption und den Dolch in den Rücken von Lula und Dilma Rousseff. Die ehrgeizigsten Politiker aus der MDB suchen sich sicherlich bereits neue Ufer. Da die MDB nicht so sehr ideologisch geprägt ist, dürfte das nicht so kompliziert werden.
Brasilien wird in den nächsten vier Jahren eher mehr Konflikte haben. Die Träume der nicht besonders fähigen nationalen Unternehmerschaft werden nicht aufgehen! Man hätte die Ursache für die Probleme besser mit dem Spiegel in der Hand suchen sollen.
Ein Bolsonaro wird keine Wunder vollbringen. Brasilien und der brasilianische Traum werden weitere vier Jahre verlieren. Ob es jemals einen brasilianischen Traum geben wird, ist sehr fraglich!
Achim Lippmann
Veröffentlicht in der jungen Welt am 10.10.2018.