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Leserbrief zum Artikel Rechte von Wohnungslosen: »Armut soll aus Stadtbild herausgehalten werden« vom 03.09.2018:

Wie aus »Störern« »Gefährder« wurden*

Mitte der 1990er Jahre machte der Begriff der »Gefahrenabwehrverordnung« (GAV) die Runde. Deutsche Städte und Metropolen hätten massive Ordnungsprobleme, welche das »subjektive Sicherheitsempfinden« der Bürgerinnen und Bürger – bzw. der Konsumenten der Citys – beeinträchtigen würden, hieß es vorwiegend aus konservativen Kreisen, wie den CDU-Leuten Klaus-Rüdiger Landowski (Berlin) und dem Kasseler Ordnungsbürgermeister Dr. Jürgen Gehb. Bestehende Regelwerke (z. B. Stadtsatzungen, Grünflächen- und örtliche Polizeiverordnungen) wurden in den darauffolgenden Jahren »verschärft« oder in »GAV« umbenannt; außerdem wurden Ordnungsämter und Stadtpolizeien mit erweiterten Befugnissen ausgestattet und technisch aufgerüstet. Die neuen »Hilfspolizeibeamten« gehen fortan beispielsweise gegen aggressives Betteln und sogar Taubenfüttern vor, welche als Ordnungswidrigkeiten definiert wurden. Auch »wildes Lagern« von Obdachlosen in den Städten soll mittels »verwaltungsrechtlicher Gefahrenabwehr« unterbunden werden. Beide namentlich aufgeführten CDU-Politiker sprachen in diesem Zusammenhang gar von »Ratten« bzw. »Gesocks«, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden würden. Die Verantwortlichen hierfür waren schnell ausgemacht und wurden benannt: Randgruppen (und ihre Verhaltensweisen) wie Obdachlose, Drogensüchtige, Bettler, Stadttrinker und »herumlungernde Jugendliche« sind seither die »Feindbilder« einer konsumorientierten Stadt, weil sie nicht ins Bild passen. Vergeblich hatten damals beispielsweise Kriminologen und Soziologen versucht Ordnung in diese Diskussion zu bringen: Ordnungsprobleme sind keine Gefahren im sicherheitstechnischen Sinn, und eine »Vermengung« dieser beiden Begriffe ist schlicht unseriös, eine Aussage, die von Vertretern dieser Berufsgruppen stammt. Dennoch behaupteten die Befürworter der GAV »gebetsmühlenartig«: Ordnungsprobleme und Kriminalität seien kausal miteinander verbunden – Belege hierfür bleiben sie bis heute schuldig!
*»Störer« und »Gefährder« sind Begriffe aus dem Polizeirecht
Thomas Brunst
Veröffentlicht in der jungen Welt am 04.09.2018.