Gegründet 1947 Freitag, 26. April 2024, Nr. 98
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben

Leserbriefe

Liebe Leserin, lieber Leser!

Bitte beachten Sie, dass Leserbriefe keine redaktionelle Meinungsäußerung darstellen. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zur Veröffentlichung auszuwählen und zu kürzen. Leserbriefe sollten eine Länge von 2000 Zeichen (etwa 390 Wörter) nicht überschreiten. Kürzere Briefe haben größere Chancen, veröffentlicht zu werden. Bitte achten Sie auch darauf, dass sich Leserbriefe mit konkreten Inhalten der Zeitung auseinandersetzen sollten. Ein Hinweis auf den Anlass Ihres Briefes sollte am Anfang vermerkt sein (Schlagzeile und Erscheinungsdatum des betreffenden Artikels bzw. Interviews). Online finden Sie unter jedem Artikel einen Link »Leserbrief schreiben«.

Leserbrief zum Artikel Rechter Aufmarsch: »In Chemnitz existiert gefestigte Neonaziszene« vom 28.08.2018:

Produkt der eigenen Politik

Martina Renner spricht aus, was andere Politiker längst wieder abzuwiegeln suchen in alter Manier. Entsetzen, Verwunderung, heuchlerisch gespielt, ein paar Menschlichkeitsfloskeln, Absichtsbekundungen zur Aufklärung und Gegenmaßnahmen, Trauerbekundungen, alles wie gehabt. Geschehen wird nichts, und was werden wir hören zu den AfD-Aktionen, deren Abgeordneten und ihrem hetzerischen Tun? Welche Konsequenzen werden sie erwarten? Werden einige der Menschenjäger dingfest gemacht oder linke Chaoten gefunden, die die Rechten provoziert haben? Mit Kritik und Wahrheiten bei der Polizei zu beginnen ist etwas zu billig. Wer hält allen Politikern deren Lügen vor, die heute geheuchelte Selbstkritik üben, zu lange weggesehen zu haben. Das ist die nächste Lüge. Sie haben nicht gesehen, wollten nicht sehen, haben klein- und weggeredet, verpatzelt und wütend über rechte Ecken geklagt, die es nicht gebe oder die nur Einzelfälle seien. Besorgte Bürger waren es alles, wahrscheinlich wie auch in Chemnitz, nach einigen Tagen Aufregung. Wer sagt ihnen, dass das Geschehen in Chemnitz das Produkt ihrer eignen Politik ist, ihrer eignen reißerischen täglichen Anti-Flüchtlings-Meldungen? Wer muss sich wundern nach wochenlangen Diffamierungen im Zusammenhang mit dem Kindergeldthema u. v. a. m.? Der Chemnitzer Terror und die geprobte Pogromstimmung sind nichts als ein Spiegelbild der täglichen Politik. Wer Hass und Hetze, wer Lügen und Halbwahrheiten, wer täglich Ausländer als Schuldige und Schlimmeres vorführt, der heuchelt sein Entsetzen.
Wer liefert unablässig Zündstoff für menschliche Niedrigkeit, Entmenschlichung, pogromartigen Hass auf den Straßen? Wieder wird an patriotische Gefühle, Vorurteile, Gerechtigkeit appelliert und sich antikapitalistisch gegeben. Die Muster ähneln sich so sehr, das Tun und Handeln nicht weniger. Das alles wollen so viele nicht sehen oder hören? Schweigt die große Mehrheit wieder? Verlogener geht es kaum, wenn nun die Mehrheit aufgerufen wird, lauter zu werden. Wer ist damit gemeint? Jene, die verfolgt werden, wenn sie gegen Nazis aufstehen? Reicht es, »Nazis raus« zu rufen? Reicht es, alledem klassenindifferenten Humanismus entgegenzusetzen? Kann eine Sammlungsbewegung gegen Faschisierung helfen? Was haben wir Besseres? Welche Partei außer der Linken muss und kann die richtigen und klaren Worte im Bundestag sprechen, an die Massen tragen?
Roland Winkler
Veröffentlicht in der jungen Welt am 29.08.2018.