Leserbrief zum Artikel Arbeiterklasse: Die unzufriedene Klasse
vom 30.04.2018:
Erfahrung der Machtlosigkeit
Klaus Dörre sprach von der Abwertungserfahrung, die Menschen in den unteren Gehaltsgruppen oft machen. Ich will ein aktuelles Beispiel bringen. Vor wenigen Tagen feierte eine Gebundene Ganztagsgrundschule in Saarbrücken ein Schulfest. Dieses schöne, aufwendige Fest wurde kooperativ von den Lehrern und den Erziehern aus dem sozialpädagogischen Bereich (letztere die im Artikel genannten Frauen in Dienstleistungssegmenten in schlecht bezahlten und wenig anerkannten Jobs) vorbereitet. Dass die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Erziehern gut funktioniert hatte, war für alle Besucher des Festes offensichtlich, da die Vorführungen der Kinder und die Spielstationen, die über den ganzen Hof verteilt waren, überzeugten. Nun hielt eine stadtbekannte Politikerin von der Bühne herab ein kurzes Grußwort. In diesem Grußwort wurden die Grundschullehrer mehrfach erwähnt, und es wurde ihnen mehrfach ausdrücklich für die Ausrichtung des schönen Festes und die gute Arbeit mit den Kindern gedankt. Der sozialpädagogische Bereich wurde mit keinem Wort erwähnt. Im Publikum saßen neben interessierter Öffentlichkeit (und Presse) vor allem die Eltern, mit denen die Erzieher täglich zu tun haben. (Zur Erklärung: In einer Gebundenen Ganztagsschule werden alle Kinder nachmittags im sozialpädagogischen Bereich, also durch Erzieher, betreut.)
Eine Kollegin sagte daraufhin erbost zu mir: »Sollen wir jetzt die Stände gleich wieder abbauen?«
Diese Erfahrung, im privaten Gespräch mit Eltern oder in der persönlichen Kooperation mit den Lehrern durchaus gewertschätzt zu werden, öffentlich aber nur wahrgenommen zu werden, wenn wir selbst über Verdi oder die GEW Druck machen, machen wir Erzieherinnen oft.
Es ist übrigens so, dass die Qualität unserer Arbeit vielleicht tatsächlich zu wünschen übrig lässt, weil sie darunter leidet, dass zu viele Kinder und zu wenige Erzieher auf zu engem Raum miteinander auskommen müssen und oft mehr Aufsicht als pädagogisches Handeln nötig ist. Darunter leidet unsere Zufriedenheit mit dem Beruf (nicht anwenden dürfen, wofür wir ausgebildet wurden), darunter leidet vielleicht auch unsere öffentliche Anerkennung.
Das System, möglichst kostengünstig möglichst viele Kinder zu betreuen, um möglichst vielen Eltern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten (immer größere Schulen, Inklusion ohne eine echte personal- und zeitintensive Integration in die Schulgemeinschaft) verändert die Qualität (mehr Konfliktintervention als pädagogisches Handeln) und damit die Eigen- und Fremdwahrnehmung einer Berufsgruppe zum Schlechten.
Die Qualität einer Arbeit spielt für das Selbstwertgefühl der Arbeiter eine große Rolle. Aber spielt sie sonst überhaupt noch eine Rolle?
Die Unübersichtlichkeit all der Faktoren, die in den heutigen Globalisierungsprozessen Einfluss auf die Arbeit haben, hat Klaus Dörre umfassend dargestellt, er hätte höchstens noch erwähnen können, dass viele Menschen die Erfahrung machen, dass die Qualität ihrer Arbeit keine Rolle spielt, also auch ihre Anstrengungen, einen »Arbeitgeber« zu unterstützen, eine Firma am Ort zu erhalten, völlig ins Leere laufen. Die feindliche Übernahme findet so oder so statt, ob die Auftragsbücher gefüllt sind, ob die Qualität des einzelnen Produktes stimmt oder nicht.
Diese Erfahrung von Machtlosigkeit, der oft Phasen von Arbeitskämpfen, Mobilisierungen, Hoffnungen usw. vorangehen, teilen vermutlich inzwischen viele Menschen.
Es geht nicht nur um öffentliche Anerkennung, den Erhalt des Einkommens, die Alterssicherung usw., es geht nach wie vor sehr stark um die tägliche Zufriedenheit mit der ganz konkreten Arbeit, die Wertschätzung durch den Nahraum, Arbeitskollegen im Team, den direkten Vorgesetzten, die Kommune usw. Die Eingriffe, die hier, im Nahen und Konkreten (die sogenannten Rahmenbedingungen) durch die Globalisierung (Verkauf, Out-Sourcen, Vergrößerung, Arbeitsverdichtung) und die Vorgaben der Politik stattfinden, sind schmerzhaft und zermürbend.
Auch ich bedaure es sehr, dass es zu keinem solidarischen Handeln kommt, sondern, wie von Klaus Dörre genannt, zu einer Selbstüberhöhung mittels Abwertung anderer. Die Gemeinsamkeit der »Entmachteten« ist dann am Ende nur noch »deutsch« oder »männlich«, das bleibt übrig, wenn alles andere, das ein wenig größer wäre (Klassenbewusstsein, Berufsstolz), abgeplatzt ist.
Eine Kollegin sagte daraufhin erbost zu mir: »Sollen wir jetzt die Stände gleich wieder abbauen?«
Diese Erfahrung, im privaten Gespräch mit Eltern oder in der persönlichen Kooperation mit den Lehrern durchaus gewertschätzt zu werden, öffentlich aber nur wahrgenommen zu werden, wenn wir selbst über Verdi oder die GEW Druck machen, machen wir Erzieherinnen oft.
Es ist übrigens so, dass die Qualität unserer Arbeit vielleicht tatsächlich zu wünschen übrig lässt, weil sie darunter leidet, dass zu viele Kinder und zu wenige Erzieher auf zu engem Raum miteinander auskommen müssen und oft mehr Aufsicht als pädagogisches Handeln nötig ist. Darunter leidet unsere Zufriedenheit mit dem Beruf (nicht anwenden dürfen, wofür wir ausgebildet wurden), darunter leidet vielleicht auch unsere öffentliche Anerkennung.
Das System, möglichst kostengünstig möglichst viele Kinder zu betreuen, um möglichst vielen Eltern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten (immer größere Schulen, Inklusion ohne eine echte personal- und zeitintensive Integration in die Schulgemeinschaft) verändert die Qualität (mehr Konfliktintervention als pädagogisches Handeln) und damit die Eigen- und Fremdwahrnehmung einer Berufsgruppe zum Schlechten.
Die Qualität einer Arbeit spielt für das Selbstwertgefühl der Arbeiter eine große Rolle. Aber spielt sie sonst überhaupt noch eine Rolle?
Die Unübersichtlichkeit all der Faktoren, die in den heutigen Globalisierungsprozessen Einfluss auf die Arbeit haben, hat Klaus Dörre umfassend dargestellt, er hätte höchstens noch erwähnen können, dass viele Menschen die Erfahrung machen, dass die Qualität ihrer Arbeit keine Rolle spielt, also auch ihre Anstrengungen, einen »Arbeitgeber« zu unterstützen, eine Firma am Ort zu erhalten, völlig ins Leere laufen. Die feindliche Übernahme findet so oder so statt, ob die Auftragsbücher gefüllt sind, ob die Qualität des einzelnen Produktes stimmt oder nicht.
Diese Erfahrung von Machtlosigkeit, der oft Phasen von Arbeitskämpfen, Mobilisierungen, Hoffnungen usw. vorangehen, teilen vermutlich inzwischen viele Menschen.
Es geht nicht nur um öffentliche Anerkennung, den Erhalt des Einkommens, die Alterssicherung usw., es geht nach wie vor sehr stark um die tägliche Zufriedenheit mit der ganz konkreten Arbeit, die Wertschätzung durch den Nahraum, Arbeitskollegen im Team, den direkten Vorgesetzten, die Kommune usw. Die Eingriffe, die hier, im Nahen und Konkreten (die sogenannten Rahmenbedingungen) durch die Globalisierung (Verkauf, Out-Sourcen, Vergrößerung, Arbeitsverdichtung) und die Vorgaben der Politik stattfinden, sind schmerzhaft und zermürbend.
Auch ich bedaure es sehr, dass es zu keinem solidarischen Handeln kommt, sondern, wie von Klaus Dörre genannt, zu einer Selbstüberhöhung mittels Abwertung anderer. Die Gemeinsamkeit der »Entmachteten« ist dann am Ende nur noch »deutsch« oder »männlich«, das bleibt übrig, wenn alles andere, das ein wenig größer wäre (Klassenbewusstsein, Berufsstolz), abgeplatzt ist.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 03.05.2018.