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Leserbrief zum Artikel Kommerz: Wie zum Hohn vom 09.02.2018:

Macht und Kommerz

Endlich! Die Kommerz- und Propagandaspiele in Pyeongchang haben begonnen. Die Jagd der gedopten und nicht gedopten Hochleistungsathleten auf die Medaillen kann ungestört von Russenfahnen, -und –hymne beginnen. Die vom IOC zusammengestrichene und zur »anonymen Teilnahme« verurteilte Rest-Russenmannschaft wird die olympischen Erfolge des Westens nicht gefährden, denn die meisten russischen Medaillenanwärter, ob belastet oder unbelastet, konnte man, trotz der vom CAS attestierten mangelnden Beweislage und den gescheiterten lebenslangen Sperren (wie passen eigentlich lebenslange individuelle Sperren mit dem Vorwurf des »Staatsdopings« zusammen?) den Spielen fernhalten. Dopinghinweise auf westliche Sportler konnten in gewohnter Manier rechtzeitig unter den Teppich gekehrt werden. Einem Spitzenplatz im früher vom Westen wegen mangelnder Erfolge so verachteten und jetzt regelrecht vergötterten Medaillenspiegel steht nun nichts mehr im Wege. Was stört es da, dass in bester Sippenhaft auch Sportler ausgegrenzt werden, die bisher nie bei Dopingtests aufgefallen sind?
Der Westen unter Führung der USA und das IOC mit einem Chef, der aus Deutschland kommt, stellen sich als die moralischen Gralshüter des sauberen Sports dar. Ausgerechnet die USA mit ihrer illustren Dopingvergangenheit und -gegenwart! Erst vor wenigen Monaten wurde mit J. Gatlin (USA) ein mehrfach (!) überführter Dopingtäter als Weltmeister über 100 Meter gefeiert. Die USA, das Land der M. Jones, des Lance Armstrong, des Tyson Gay und vieler anderer prominenter Dopingtäter als Vorbild für sauberen Sport – welch ein Hohn. Ein Land, in dem eine angeblich nie des Dopings überführte Florence Griffith-Joyner (mehrfache Olympiasiegerin 1988; im Alter von 38 Jahren verstorben) vor 30 Jahren wie aus dem Nichts Weltrekorde über 100 Meter (10,49 Sekunden) und 200 Meter (21,34 Sekunden) aufstellte, Zeiten, von denen die heutigen Weltklassesprinterinnen trotz besseren Materials und weiterentwickelter Trainingsmethoden Lichtjahre entfernt sind. Auch Deutschland mit seinem IOC-Chef Bach und seinen selbsternannten Dopingjägern erhebt immer wieder den moralischen Zeigefinger und versucht, den Inquisitor zu spielen, natürlich bevorzugt, wenn es gegen die Russen geht. Deutschland, bereits in den Zeiten vor 1989 in beiden Staaten mit reichhaltiger Dopinghistorie. Auch in der alten BRD wurde systematisch gedopt, man denke an die Freiburger Sportmedizin, an die geständigen Spitzenleichtathleten, deren Namen bisher nicht veröffentlicht wurden, an D. Thurau, aber auch an Todesopfer wie R. Reichenbach und B. Dressel. Auch das geeinte Deutschland kann mit Dopingvergangenheit aufwarten (Team Telekom usw.). Wie glaubwürdig ist es, wenn sich solche Länder als Dopingjäger präsentieren?
Dabei wäre es wichtig, dass dem Dopingmissbrauch im Spitzensport (und nicht nur dort) der Kampf angesagt würde. Aber so, wie es vor den Olympischen Spielen von den dafür Verantwortlichen unter politischem Druck praktiziert wurde, widert es jeden Sportanhänger einfach nur an. Ein Kampf um »sauberen« Sport setzt erst einmal einen sauberen Antidopingkampf voraus, bei dem die Nationalität eines durch zweifelsfreie Beweise überführten Dopingtäters nicht einmal ansatzweise eine Rolle spielt. Jeder, der sich mit Sport befasst, weiß, dass heute Doping im Hochleistungssport allgegenwärtig ist, natürlich auch in Russland, aber eben auch in den anderen Nationen. An den Pranger gestellt wird aber in heuchlerischer Doppelmoral nur Russland. Jeder, der sich mit Sport befasst, hat längst durchschaut, dass es im Vorfeld der Olympischen Spiele nicht um »sauberen« Sport ging, sondern lediglich darum, ein Land auszuschließen und als die Dopingnation zu brandmarken. Damit hat nun hoffentlich auch jeder begriffen, dass selbst der eigentlich völkerverbindende Sport längst geostrategischen, machtpolitischen und kommerziellen Interessen geopfert wurde. Dass er dadurch kaputtgemacht wird, nehmen die geostrategischen Scharfmacher billigend in Kauf.
Gert Alisch
Veröffentlicht in der jungen Welt am 14.02.2018.