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Leserbrief zum Artikel Klimaschutz: Wenn der Ozean sich erwärmt vom 15.12.2017:

Größer als Kanada

Da das Thema Klimawandel für viele Menschen ein äußerst abstraktes und allgemein sehr komplexes Thema darstellt hier mal ein paar ergänzende Hinweise.
Es existiert ein Schwellenwert bzw. eine Grenztemperatur der oberflächennahen Wasserschichten von 26 Grad Celsius. Ab diesem Schwellenwert nimmt nicht nur die Dynamik der Verdunstung, sondern damit auch die Bildung von Wirbelstürmen quasi sprunghaft zu. Ab dieser Temperatur fangen aber auch die einzelligen Algen, die eine Symbiose im Sinne eines wechselseitigen Nutzens mit den riffbildenden Steinkorallen eingehen, an abzusterben, besser bekannt als Korallenbleiche. Hier ist das Great Barrier Reef zu Zweidritteln (mittlerer und nördlicher Bereich) stark betroffen. Sollte der Temperaturstress längere Zeit anhalten, dann wird sich das Weltnaturerbe in diesen Bereichen nicht wieder erholen. Sedimenteintrag durch menschliche Aktivitäten und eine allgemeine Versauerung der Ozeane durch das aus der Atmosphäre gebundene Kohlendioxid verschlimmern die Situation der Riffe weltweit zusätzlich.
Wichtig zu begreifen in dem Zusammenhang ist, dass eine Zunahme um nur ein Grad Celsius enorme globale Auswirkungen hat. Wenn bei einem Menschen die Normaltemperatur von rund 37 auf 38 Grad ansteigt, bleibt er mit Fieber krank zu Hause, bei zwei Grad fest im Bett, und bei mehr als drei Grad, d. h. über 40 Grad Körpertemperatur, ist ein Gang in das nächstgelegene Krankenhaus ratsam. Bei höheren Körpertemperaturen (42 Grad) gerinnt bzw. »denaturiert« das körpereigene Eiweiß, was zu Kollaps und Tod führt. »Nur« ein paar Grad Unterschied in der Körpertemperatur des Menschen haben gravierende Konsequenzen, bei dem komplexen Ökosystem der Erde verhält es sich ähnlich.
Die durchschnittliche Temperaturerhöhung der Erde wird durch den Zuwachs klimawirksamer Gase, allen voran Kohlendioxid (CO2), in der Atmosphäre verursacht. Die Konzentration von CO2 hat sich seit der industriellen Revolution von rund 280 ppm auf 403 ppm 2016 erhöht. Die Konzentrationseinheit ppm bedeutet dabei Parts per million, d. h. 403 Einheiten (Moleküle) CO2 auf eine Million Einheiten Luft. Zur Veranschaulichung: 20 medizinische Tropfen entsprechen einem Mikroliter (tausendstel Liter), daraus folgt, dass eine Konzentration von 400 ppm acht Tropfen auf einen Liter Wasser entspricht. Kleine Änderungen können eben große Wirkungen entfalten, vor allem wenn man bedenkt, dass es eine solche Konzentration an CO2 in der Atmosphäre in den letzten Jahrmillionen nicht mehr gegeben hat.
Der Konzentrationszuwachs an CO2 in der Atmosphäre von rund 44 Prozent resultiert aus der Verbrennung fossiler Energieträger von derzeit global rund 36 Gigatonnen CO2 (Milliarden Tonnen) plus geschätzten ca. fünf bis sechs Gigatonnen überwiegend durch die Vernichtung von (Regen-)Wäldern. Um sich diese Mengen vorstellen zu können, ist ein Vergleich mit der Größe der Waldfläche möglich, die benötigt würde, um beispielsweise die Hälfte der Emissionen über den Prozess der Photosynthese zu neutralisieren: Ein Quadratkilometer Wald kann durchschnittlich 1.300 Tonnen CO2 binden. Um die Hälfte der Emissionen aus der fossilen Verbrennung zu neutralisieren, würde eine Fläche von rund 14 Millionen Quadratkilometern erfordert. Zum Vergleich: Kanada hat eine Landfläche von rund neun Millionen Quadratkilometern (circa zehn Millionen insgesamt). Die 14 Millionen Quadratkilometer entsprechen im übrigen ca. 9,3 Prozent der gesamten Landfläche der Erde.
Übrigens enthalten die ersten drei Meter der Ozeane die gleiche (thermische) Energie wie die gesamte Atmosphäre der Erde.
Und einen guten Überblick über das »Restkontingent« (Stichwort Zwei-Grad-Ziel) an CO2, welches noch in die Atmosphäre emittiert werden darf, bzw. darüber, wie die CO2-Uhr tickt, ist zu finden unter https://www.mcc-berlin.net/forschung/co2-budget.html.
Ulrich Becker
Veröffentlicht in der jungen Welt am 28.12.2017.