Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben

Leserbriefe

Liebe Leserin, lieber Leser!

Bitte beachten Sie, dass Leserbriefe keine redaktionelle Meinungsäußerung darstellen. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zur Veröffentlichung auszuwählen und zu kürzen. Leserbriefe sollten eine Länge von 2000 Zeichen (etwa 390 Wörter) nicht überschreiten. Kürzere Briefe haben größere Chancen, veröffentlicht zu werden. Bitte achten Sie auch darauf, dass sich Leserbriefe mit konkreten Inhalten der Zeitung auseinandersetzen sollten. Ein Hinweis auf den Anlass Ihres Briefes sollte am Anfang vermerkt sein (Schlagzeile und Erscheinungsdatum des betreffenden Artikels bzw. Interviews). Online finden Sie unter jedem Artikel einen Link »Leserbrief schreiben«.

Leserbrief zum Artikel Naher Osten: Great Game vom 13.11.2017:

Kein Bündnis mit Imperialisten

Ich möchte mich auf diesem Wege ausdrücklich bei der jungen Welt für die Veröffentlichung des Artikels von Karin Leukefeld über die aktuelle Entwicklung in Syrien bedanken. Er ist meines Erachtens ausgewogen, sachlich und fundiert. Gerade Frau Leukefeld wird zunehmend für ihre Haltung in der Syrien-Frage und dabei besonders für ihre Beurteilung der Probleme der syrischen Kurden kritisiert. Ich teile diese Kritik nicht, zumal sie zum Teil wenig sachlich vorgetragen wird. Ihr Leser Emre Munzur bläst da in seinem Leserbrief vom 16. November leider in das gleiche Horn. Was – bitte schön – ist ein »verkürzter Antiimperialismus«, und was meint er mit Leukefelds »Anti-USA-Haltung«?
In den letzten hundert Jahren ist durch den direkten Einfluss der US-Politik kein einziger friedliebender, geschweige denn sozialistischer Staat in der Welt entstanden oder auch nur gefördert worden. Statt dessen haben sich gerade die US-Imperialisten mit jedem Banditen verbündet, wenn es darum ging, ihnen nicht genehme Regierungen durch ökonomischen Druck oder Krieg zu beseitigen. Ich erspare mir, Beispiele zu nennen, die Geschichtsbücher sind voll davon. Es ging immer um Macht und Öl – Lüge, Hinterlist und Mord gehören dabei immer noch zum beliebtesten Handwerkszeug. Sie haben Libyen zerstört, Ghaddafi ermordet und Chaos hinterlassen, sie haben den Irak zerstört, Saddam Hussein ermordet und Chaos hinterlassen. Beide Staaten haben sich nicht dem US-Diktat gebeugt und unterschrieben damit ihr Todesurteil. Das nenne ich Imperialismus. Syrien beugt sich ebenfalls nicht dem Willen der USA, und deshalb steht es auf der Abschussliste. Sie würden nicht zögern, auch Assad zu ermorden. Gegen diese imperialistische Politik aufzutreten – an jedem Ort und zu jeder Zeit –, das ist für mich Antiimperialismus; da gibt es nichts zu verkürzen oder zu verlängern, und das tut Karin Leukefeld in ihrem Beitrag auch nicht.
Ich weiß genau, dass es in Syrien in der Vergangenheit Probleme zwischen dem Staat und den Kurden gab. Diese Probleme sind lösbar, und Baschar Al-Assad tut gut daran, diese Dinge endlich zu bereinigen. War es nicht Hafis Al-Assad, der der PKK nach dem Militärputsch in der Türkei in Syrien Asyl gewährte? Halfen nicht irakische Kurden den USA nach Kräften mit, Saddam Hussein zu beseitigen? Was haben sie als »Lohn« von den USA dafür erhalten – einen eigenen Staat auf den Trümmern des Irak? Haben sich nicht auch Kurden am Völkermord an den Armeniern 1914/15 beteiligt? Was haben sie dafür vom Osmanischen Reich erhalten – Autonomie, wie ihnen im Vertrag von Sèvres versprochen wurde? All das erwähnt Emre Munzur nicht.
Natürlich darf man nicht die Augen verschließen vor den vielfältigen Problemen im Nahen Osten, die mit der kurdischen Bevölkerung zusammenhängen. Um so bedenklicher ist es, wenn man glaubt, eine »Rojava-Revolution« mit Hilfe der imperialistischen USA auf den Trümmern des syrischen Staates durchführen zu können. Ohne die Ölfelder von Deir Al-Sor und die fruchtbaren Gebiete dieser Provinz wäre diese Revolution ökonomisch nicht lebensfähig. Die muss man also besitzen – und das geht nicht, ohne dass der syrische Staat zerstört wird. Lässt man zu diesem Zweck – mit Billigung der YPG/YPI – 4.000 IS-Kämpfer einschließlich ihrer Söldner aus Europa mit ihren amerikanischen Waffen samt Munition aus Rakka an die irakische Grenze »entweichen«? Die IS-Kämpfer aus Aleppo wurden von den Syrern und Russen entwaffnet.
Als aufrichtiger deutscher Linker kann ich dieses Bündnis mit den amerikanischen Imperialisten nicht akzeptieren. Noch befremdlicher für mich ist dabei der Verweis auf Lenin und das »Selbstbestimmungsrecht der Nationen«. Welche Nation soll denn damit gemeint sein, und wo hat Lenin »vorgegeben«, dass man für dieses Selbstbestimmungsrecht andere Staaten oder Nationen zerstören muss? Selbst wenn kurdische Politiker betonen, dass es nicht um eine Teilung (das ist auch eine Form der Zerstörung) des syrischen Staates geht, sondern um dessen Demokratisierung, ist es doch verwunderlich, dass man sich zu diesem Zweck mit den USA verbündet. Dass diese USA federführend bei der Entstehung, Förderung und Bewaffnung des IS waren und sind, wird ausgeblendet. Die USA werden die Rojava-Revolution verraten, sie werden die Kurden verraten, so wie die amerikanischen, französischen, deutschen und britischen Imperialisten die Kurden sei 100 Jahren verraten haben. Eines aber werden die Kurden von den USA nicht erhalten – eine sozialistische Republik Rojava auf den Trümmern des zerstörten syrischen Staates.
Günter Pelzl
Veröffentlicht in der jungen Welt am 20.11.2017.
Weitere Leserbriefe zu diesem Artikel:
  • Einseitiger Antiimperialismus

    Der Artikel von Frau Leukefeld steht exemplarisch für einen verkürzten Antiimperialismus, der diesen mit einer Anti-USA-Haltung gleichsetzt. Dass die Kurden nicht mit Assad zusammenarbeiten, wird als ...
    Emre Munzur