4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 25.04.2024, Seite 2 / Ausland
Feminismus

»Diese liberale Demokratie hat versagt«

Feministische Internationale unterstützt Kongress in Buenos Aires. Ein Gespräch mit Verónika Mendoza
Interview: Torge Löding, Buenos Aires
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Argentinien: Feministinnen protestieren am Internationalen Frauenkampftag (Buenos Aires, 8.3.2024)

Die Feministische Internationale, FI, hat am vergangenen Wochenende einen feministischen Kongress unter dem Motto »Radikalisierung der Demokratie« in Buenos Aires unterstützt und diesen auch für ein internes Treffen genutzt. Was möchte die FI erreichen?

Vor einem Jahr wurde in Mexiko die FI gegründet. Zu den Gründerinnen gehörten neben der mexikanischen Präsidentschaftskandidatin Claudia Sheinbaum auch Irací Hassler, Bürgermeisterin Santiago de Chile und Irene Montero von Podemos aus Spanien. Wir sind Frauen, die linke Politik machen, mit Schwerpunkt aus Lateinamerika, aber auch mit Beteiligung aus Europa, Asien und Afrika. Zusammengeschlossen haben wir uns, um uns in der herausfordernden Weltlage gegenseitig zu unterstützen. Und vor allem, um zu überlegen, mit welchen Konzepten die Menschheit auf die Herausforderung von Kriegen, Faschismus und die anderen Krisen antworten kann. Wir wollen einen Feminismus, der sich nicht nur dem Patriarchat entgegenstellt, sondern allen Formen der Unterdrückung, dem neoliberalen und extraktivistischen Kapitalismus und dem Kolonialismus.

Sie haben eine große Konferenz in Buenos Aires mit mehr als tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern mitorganisiert. Was ist dabei Neues herausgekommen?

Wir Feministinnen erleben vielerorts Angriffe, in Argentinien werden historische Errungenschaften vom Präsidenten Javier Milei in Frage gestellt. Nicht nur das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche, auch die inklusive Sprache oder die Sexualerziehung. Der Präsident nimmt sich hier explizit die feministische Bewegung vor, weil er so die Erwartungen seiner reaktionären Anhängerschaft zu bedienen versucht. Diese Bedrohung haben wir analysiert. Doch vielleicht haben wir in der letzten Zeit zu viel Analysearbeit betrieben und sind zu wenig aktiv geworden. Wir haben eine gemeinsame Diagnostik und mit der gut vernetzten extremen Rechten einen gemeinsamen Feind. Jetzt haben wir uns die Zeit genommen, über konkrete Aktionen zu reden. Dabei benötigen wir aber auch eine neue Art von Respekt zwischen denen von uns, die sich entschieden haben, in linken Parteien oder progressiven Regierungsprojekten zu arbeiten, und solchen, die den sozialen Bewegungen den Vorzug geben.

Es gibt solche, die behaupten, dass die Wahlerfolge von extremen Rechten wie dem ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro oder Milei auch aufgrund der Stärke der feministischen Bewegung zustande kamen, weil populäre Sektoren abgeschreckt wurden. Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um?

An der Intensität der Angriffe der extremen Rechten auf die feministische Bewegung ist zu erkennen, dass sie unsere Kraft, unsere Rebellion, unseren Mut als Bedrohung auffassen. Sie sprechen Akteure an, die sagen, dass wir den Gegner nicht weiter provozieren sollten, sondern uns mäßigen. Das weisen wir zurück, denn zur notwendigen Radikalisierung der Demokratie gehört untrennbar feministische Politik, und zwar als Gegenentwurf zur multiplen Krise des globalen Kapitalismus mit seiner liberalen Demokratie.

Diese liberale Demokratie hat versagt, unsere Völker mit dem Minimum an Erziehung, Gesundheit und Wohnungen zu versorgen. In Lateinamerika ist das ganz deutlich zu sehen. Unser Kontinent wurde in der Pandemie am stärksten in Mitleidenschaft gezogen, in Peru etwa gab es die weltweit höchste Sterberate. In der Folge vertrauen unsere Völker der liberalen Demokratie nicht mehr, sondern fühlen Wut und Unsicherheit. Deshalb kann nicht einfach alles bleiben, wie es ist und es gibt auch keinen Weg zurück. Sondern nur nach vorn: in Richtung einer radikalen Gesellschaftsalternative.

Nach einer Phase der Stärke ist die feministische Bewegung aktuell in Ländern wie Chile oder Argentinien wieder in die Defensive geraten. Wo sehen Sie die Bewegung heute?

Das ist in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Ich würde auch nicht die Widerstandskraft der feministischen Bewegung in Argentinien unterschätzen; diese ist durchaus resilient. In Peru stehen wir Frauen an vorderster Front gegen die Diktatur von Dina Boluarte. Der Kongress in Buenos Aires hat aber auch wieder gezeigt, dass es sehr unterschiedliche Feminismen gibt. Es ist wichtig, dass wir diese Diversität als eine Stärke erkennen und uns gemeinsam den Dimensionen der Krise stellen.

Verónika Mendoza war Kongressabgeordnete und Präsidentschaftskandidatin in Peru und ist Gründungsmitglied der Feministischen Internationale (FI)

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (24. April 2024 um 21:50 Uhr)
    In Lateinamerika, insbesondere in Argentinien, stellt sich die Frage, welche Art von »liberaler Demokratie« angeblich »versagt« hat. Chile hat nach dem Pinochet-Putsch einen bedeutenden Schritt hin zum neoliberalen Paradigma gerade unternommen. Obwohl ich die linksgerichteten Bestrebungen, einschließlich der FI-Bewegung in Lateinamerika begrüße, sehe ich keinen Grund anzunehmen, dass es dort liberale Demokratien gab, die versagt haben sollen.

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